Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

.Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert 11 Reichstagsabschied übernommen und ist in den Verhandlungen mit Erz­herzog Ferdinand anscheinend nicht mehr strittig gewesen 51). Im Abschied selbst ist sie durch die Festsetzung von Termin und Ort für die Versamm­lung und durch die Bestimmung erweitert, daß sämtliche Reichsstände nach Möglichkeit persönlich daran teilnehmen sollten 52). Die Änderung der Bezeichnung signalisiert nicht „große Unklarheit der Zeitgenossen“ 53), sondern sie ist bewußt vorgenommen worden, um einen toten Punkt zu überwinden. Als der Legat dem „Nationalkonzil“ das Placet verweigerte, verzichteten die Reichsstände, da sie das päpstliche Einbe­rufungsrecht für allgemeine wie partikulare Konzilien nicht in Frage stellten 54 55), auf dieses nur mit Hilfe Roms zu realisierende Projekt. Mit der Wahl einer neuen und unbelasteten Benennung schufen sie sich nach ihrer Ansicht die Möglichkeit, ihr Ziel zu erreichen, ohne gegen kirchen­rechtliche Gegebenheiten zu verstoßen. Wenn man nicht ein Konzil zu sein beanspruchte, konnte eine Zusammenkunft der Reichsstände unter Beiziehung von gelehrten Sachverständigen theologische und kirchenpo­litische Fragen auf der Basis von Universitätsgutachten behandeln; sie wäre auch kein Reichstag, und ihre Ergebnisse sollten nur interimisti­schen Charakter haben. Es gibt im 16. Jahrhundert ähnliche Vorgänge, daß man, wenn man bestimmte Regeln, an die eine Institution normaler­weise gebunden war, einmal nicht einhalten konnte oder wollte, der Ver­anstaltung einen anderen Namen gab 5ä). Damit war dann freilich auch die Möglichkeit eröffnet, daß jeder sich darunter etwas anderes vorstel­len konnte bzw. dieses „neue“ Gremium nach seinen Interessen auszurich­ten die Chance hatte. Wie die für den 11. November (Martini) in Speyer in Aussicht genommene „gemeine versamlung Teutscher nacion“ wirklich aussehen würde, das war nur soweit präjudiziert, wie es ausdrücklich im Reichstagsabschied stand. Zur Ergänzung der Beobachtungen über die mutmaßliche Zusammenset­zung der Versammlung bedarf es noch eines Blickes auf die Apposition „teutscher nation“. Aus den verschiedenen Äußerungen während des Reichstages wird hinreichend deutlich, daß der Begriff nicht mehr in dem Sinne benutzt wurde wie zur Zeit der Reformkonzilien — im Un­terschied zum Reichstagsabschied von 1445: damals war noch an die „Kon­zilsnation“ gedacht, denn an jenem „Nationalkonzil“ hätten auch die Un­garn, Böhmen, Polen und Skandinavier teilnehmen sollen, die in Kon­51) Ebenda 515 f n. 117 in Verbindung mit dem Wortlaut des Abschieds, d. i. n. 149, bes. S. 603 ff; dem textkritischen Apparat ist nichts über Änderungsver­suche an der Formel zu entnehmen. 52) Ebenda 604 Z.18 ff. 53) So B o r t h Luthersache 153 in Verkennung des Stellenwertes. 54) Belege ebenda 148 Anm. 145. 55) Dazu Helmut N e u h a u s Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert (Berlin 1982) 108. Aus der Beweisführung vorher bes. 39 ff, 87 ff, 94 f, 98 f.

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