Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)
LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes
12 Ernst Laubach stanz zur „natio germanica“ gerechnet worden waren56), ja sogar die Angelsachsen hätten eingeladen werden sollen, obwohl die Engländer schon in Konstanz den Status einer eigenständigen Konzilsnation beansprucht hatten57 58). In der neueren Forschung herrscht, soweit ich sehe, Einverständnis über eine im Laufe des 15. Jahrhunderts stattgehabte Änderung im Sprachgebrauch 5S): „Die .Deutsche Nation“ als ... ein politischherrschaftlicher Sammelbegriff für die im deutschen Reich vereinigten Länder und Territorien setzt sich unter Friedrich III. immer stärker durch“59), und zwar in Begrenzung auf das Reichsgebiet nördlich der Alpen, wobei das Bewußtsein von gemeinsamer Sprache, Abstammung und historischen Leistungen in verschiedener Akzentuierung mitschwin- gen kann60). Wendungen wie „allain die Teutsch zungen“ oder „von allen gegenten Teutscher nacion“ 61) signalisieren die Präsenz einzelner dieser Akzente. Die Untersuchungen von A. Schröcker erlauben zusätzlich die Annahme, daß die Reichsstände in Nürnberg sich selbst als die deutsche Nation verstanden haben 62). Als Stütze kann die Präzisierung dienen, mit der im Reichstagsabschied die einfache Formel, in Speyer solle eine „gemeine versamlung Teutscher nation“ stattfinden, durch die Aufforderung an alle Reichsstände, möglichst in eigener Person zu erscheinen, erweitert worden ist63). Gewiß wurde in Reichstagsausschreiben regelmäßig der persönliche Besuch nahegelegt; indessen sollte hier m. E. damit auch ein zweiter Hinweis an die Kurie gegeben werden — neben der Namensänderung —, daß man eben kein „concilium nationale“, das in seiner Zusammensetzung nicht auf die Reichsstände bzw. deren bevollmächtigte Vertreter beschränkt gewesen wäre, abhalten wolle. 56) RTA ÄR 17 779. Zur Zusammensetzung der germanischen Nation in Konstanz siehe Johannes Hollnsteiner Studien zur Geschäftsordnung am Konstanzer Konzil in Remigius B ä u m e r (Hg.) Das Konstanzer Konzil (Darmstadt 1977) 127 f. 57) Heinrich Finke Die Nation in den spätmittelalterlichen allgemeinen Konzilien in Historisches Jahrbuch 57 (1937) 323—338. 58) Dazu die Arbeiten von: Alfred Schröcker Die Deutsche Nation (Lübeck 1974); Ulrich Nonn Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation in Zeitschrift für Historische Forschung 9 (1982) 129—142; Hans-Dietrich Kahl Einige Beobachtungen zum Sprachgebrauch von natio im mittelalterlichen Latein mit Ausblicken auf das neuhochdeutsche Fremdwort „Nation“ in Helmut Beumann — Werner Schröder (Hgg.) Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter (Sigmaringen 1978) 63—108; Adolf Diehl Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation in HZ 157 (1936) 457—484; auch Schubert König und Reich 240—243. 59) Nonn Heiliges Römisches Reich 141. 60) Kahl Beobachtungen 96 ff; Schröcker Deutsche Nation 130 f. 61) Wie oben Anm. 20 und 41. ®2) „Im Grunde wird man davon auszugehen haben, daß sich die auf dem Reichstag erscheinenden Reichsstände im allgemeinen als Deutsche Nation empfanden ...“ (Schröcker Deutsche Nation 119). Zusätzliche Beweise dafür siehe unten S. 19. 83) RTA JR 4 604 Z.22—27.