Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

10 Ernst Laubach den ab. Gewichtiger als seine Polemik gegen dessen ungeeignete Zu­sammensetzung waren die Einwände, mit denen er den Sinn des Natio­nalkonzils in Frage stellte: Die Lutheraner würden, da sie die Beschlüs­se von Generalkonzilien mißachteten, auch diejenigen des Nationalkon­zils nicht befolgen. Viele der von Luther aufgeworfenen Fragen seien von der Kirche doch schon entschieden, ihre Erörterung sei also nicht mehr zulässig. Und grundsätzlich könne ein Nationalkonzil über Glaubensfra­gen nicht befinden, denn für alle Nationen verbindliche Entscheidun­gen könne es nicht treffen, und für eine Nation allein gültige Glau­bensregeln dürfe es nicht geben; somit werde das Nationalkonzil zu einer Gefahr für die Einheit der Kirche 45). Jedoch ließen sich die Reichsstände davon nicht überzeugen, obwohl sie einräumten, daß ein Generalkonzil besser wäre; die Perspektiven indessen, die der Legat dafür eröffnete — erst müsse Friede unter den christlichen Herrschern hergestellt sein, und die Einberufung aller Nationen brauche Zeit, außerdem stünde der deutschen Nation die Wahl des Ortes nicht zu 4e) —, ließen sie darauf be­harren, sie erachteten „das national nit als hoch beschwerlich und sunder­lich, damit man den gemain man stillen mocht, hoch von noetten“ * 47). Aus ihren Verhandlungen mit dem Legaten geht hervor, daß die Mehrheit der Reichsstände nicht primär die Schaffung einer „nationalkirchlichen In­stanz“ bezweckte48); es ging ihnen vielmehr um eine positive Perspek­tive, die über das Wormser Edikt, dessen Verbindlichkeit sie anerkann­ten49), hinausführte: Darum wollten sie eine konziliare Behandlung in kurzer Frist ohne weitere Vertröstung. Als Verhandlungen keine Annäherung der Standpunkte von Legat und Reichsständen zeitigten, fanden letztere einen Ausweg in einer Modifika­tion: Zur Forderung nach einem allgemeinen Konzil wiederholten sie, daß dieses „furderlichst“ ins Werk gesetzt werden solle, und ergänzten, daß dennoch „mitler zit ein gemeine versamlung Teutscher ná­ción beschee, darin bedacht, erwegen und beratschlagt werden soll, wie es hinfur bis zu anstellung eines gemeinen conciliums gehalten“ werden solle 50). Diese Formel wurde auch in den ständischen Entwurf für den «) RTA JR 4 168 f und (wiederholt) 522 f. 4«) Ebenda 166, 169. 47) Ebenda 170 Z.8—10. 48) wie B o r t h Luthersache 147 zugespitzt darlegt; vorsichtiger und rich­tiger Hoimann Konzilsfrage 84. M. E. ist die Frage nach „nationalkirchli­chen Bestrebungen“ im 15./16. Jahrhundert wohl charakteristisch für Problem­stellungen, wie sie zu Beginn unseres Jahrhunderts gängig waren, aber zum rechten Verständnis der frühen Neuzeit trägt sie kaum bei. Schon Hermann Baumgarten Geschichte Karls V. 2 (Stuttgart 1886) 341 warnte vor einer Überbewertung des Projektes von 1524 im nationalen Sinne. B o r t h s Inter­pretation als konstitutiver Akt für die Entstehung einer Landeskirche (S. 155) geht viel zu weit. 49) Dagegen haben dann z. B. die Reichsstädte protestiert (RTA JR 4 517). so) RTA JR 4 514 Z.29—32.

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