Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

2 Ernst Laubach einer realen Institution fixiert werden 3). Wir müssen also aus dem Kon­text der Überlegungen und Verhandlungen, in denen der Gedanke an eine „nationalversamlung“ geäußert wurde, die Vorstellungen zu erschlie­ßen suchen, die damit verbunden worden sind. Im folgenden soll danach gefragt werden, was diejenigen damit gemeint haben, die im 16. Jahr­hundert im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation eine „national­versamlung“ forderten oder planten, welche Aufgaben und Kompetenzen sie ihr zuweisen wollten und wer an ihr mitzuwirken gehabt hätte. Es wird zu prüfen sein, ob das Verständnis einhellig war oder die Auffas­sungen differierten, ob ursprünglich eine — vielleicht vage — Gemein­samkeit bestand, die dann im Laufe der Auseinandersetzungen zwischen den Religionsparteien durch Bedeutungsverschiebungen verloren gegan­gen ist, ohne daß das recht bewußt geworden wäre; ob „nationalversam­lung“ also einer jener unscharfen Begriffe der zeitgenössischen Sprache war, die „häufig eine verbale Übereinstimmung ermöglichten, ohne daß eine sachliche Verständigung gegeben war“4), oder eine jener ver­schleiernden „dissimulierenden“ Kompromißformeln, die eingesetzt wur­den, um die Meinungsverschiedenheiten zu verdecken und das nicht lös­bare Problem zu vertagen 5). Damit ist auch nach der Funktion des Ter­minus und der damit verbundenen Sache in der Auseinandersetzung ge­fragt. Relativ häufig wird „nationalversamlung“ etc. mit „Nationalkonzil“ über­setzt bzw. gleichgesetzt. Das tat schon Johann Jacob Moser, der ein Kapi­tel in seinem Teutschen Staatsrecht überschrieben hat „Von dem Recht des Kaysers bey Teutschen National-Conciliis“ und darin aus damals ge­druckt zugänglichen Reichstagsakten des 16. Jahrhunderts zitiert, in denen allerdings beide Termini Vorkommen6). Die beiden ältesten Untersu­chungen, die sich mit dem ersten so benannten Projekt (im Jahre 1524) näher befaßt haben, reden schon im Titel von einem „Nationalkonzil“ 7). Die Berechtigung der Übersetzung wird zu prüfen sein. Die weitere Ge­schichte des Gedankens, dessen Realisierung damals der Kaiser verhin­dert hat, ist auch in jüngeren weiterführenden Beiträgen zu jenen Plänen 3) Insofern besteht eine sachliche Berechtigung, daß das Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte keinen allgemeinen Artikel „Nationalversamm­lung“ enthält. 4) So Albrecht Pius Luttenberger Glaubenseinheit und Reichsfriede: Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530—1552 (Kur­pfalz, Jülich, Kurbrandenburg) (Göttingen 1982) 39 f, bes. Anm. 183. 6) Zu Begriff und Funktion des „Dissimulierens“ vgl. Martin H e c k e 1 Auto­nómia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfrieden in der Deutung der Gegenreformation in ZRG KA 45 (1959) 185 ff. 6) J. J. Moser Teutsches Staatsrecht 3 (Frankfurt am Main und Leipzig 1740, ND Osnabrück 1968) 248—257. 7) Julius von Weizsäcker Der Versuch eines Nationalkonzils in Speier den 11. November 1524 in HZ 64 (1890) 199—215; Ernst Brasse Die Geschichte des Speierer Nationalkonzils vom Jahre 1524 (phil. Diss. Halle—Wittenberg 1890).

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