Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 37. (1984)

DUCHHARDT, Heinz: Das Tunisunternehmen Karls V. 1535

Das Tunisuntemehmen Karls V. 1535 71 Wenn man die Frühneuzeit als eine Epoche des Übergangs versteht und in ihr zu Recht die Vor- und Frühformen des modernen Denkens, der modernen Institutionen, der modernen Staatlichkeit sucht, dann gerät darüber oft und allzuleicht die andere Seite in Vergessenheit, das Auslaufen mittelalterlicher Denkkategorien und Institute, das sehr allmähliche Verschwinden mittelalter­licher Verhaltensweisen, Normen und politischer Strukturen, auch unter Um­ständen deren Beibehaltung und Sinnveränderung. Das Kaisertum in einer sich verändernden Welt und die Kreuzzugsideologie sind solche Phänomene, die einer an sich um 1500 vergangenen Zeit angehören, von einer modernen Zeit, die sich nicht mehr als hach dem christlichen ordo-Gedanken strukturiert empfindet und die die internationalen Beziehungen auf eine rationale, eine pragmatische Grundlage stellt, aber dennoch weitertradiert werden, - eine Tradition, die am Namen festhält, aber damit nun andere Inhalte verbindet. Immerhin: Noch während der letzten Phase des Spanischen Erbfolgekrieges, als in den südlichen Niederlanden die eingangs erwähnten Vermeyen-Kartons wieder auftauchten, ließ Karl VI. mit der Herstellung neuer Gobelins für die Wiener Hofburg beginnen (1712-1721), die den in Madrid befindlichen Panne- maeker-Gobelins wohl bis ins Detail glichen165). Dieser Auftrag war nach der Kaiserkrönung die erste größere künstlerische Bestellung Karls VI., so daß man wohl nicht in die Irre geht, wenn man ihm eine gewisse programmatische Bedeutung zuspricht. Er wollte mit diesen neuen Gobelins nicht nur an seine Ansprüche auf den spanischen Thron erinnern166), sondern sicher auch darauf hinweisen, wo nach dem unglücklichen und unbefriedigenden Ausgang des Spanischen Erbfolgekrieges die Hauptaufgabe und das Hauptziel der Casa de Austria lagen: im Türkenkrieg, in der Offensive gegen die Osmanen auf dem Balkan167). Sein Urahn, Karl V., den sich der letzte männliche Habsburger auch 165) Dazu Albert Ilg Die Gobelins Karl’s V. zur Erinnerung an den Feldzug gegen Tunis in Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst 9 (1874) 318—323, 329—334; Katalog der Gemäldegalerie. Holländische Meister des 15., 16. und 17. Jahrhunderts. Bearbeiter Klaus Demus (Führer des Kunsthistorischen Museums 17, Wien 1972) 98-102; Tapisse­rien im Zeichen der Kunst Raffaels. Ausstellung von Tapisserien aus dem Besitz des Kunsthistorischen Museums und des Museums für Angewandte Kunst in der Reitschule der Hof Stallungen (Messepalast) in Wien 10. Juni-24. Juli 1983, bearb. v. Rotraud Bauer (Wien 1983) 9f n. 1: Unter der Inventamummer T X/l-10 sind 10 Gobelins, gewoben von Jodocus de Voss in Brüssel, im Kunsthistorischen Museum vorhanden. Die Vermeyen- Kartons wurden von Karl VI. angekauft und sind ebenfalls in Wien. - Wenige Jahrzehnte später, 1740, wurden übrigens auch von den ursprünglichen Gobelins von 1548/54 in einer Madrider Manufaktur Kopien hergestellt, weil erstere durch die ständige Benut­zung in Madrid gelitten hatten; vgl. Charles-Quint et son temps (Exposition Musée des Beaux-Arts Gand 1955) nn. 476-481, 176. Zur Geschichte dieser neuen „Serien“ von 1714 bzw. 1740 vgl. auch den oben Anm. 3 genannten Aufsatz von Marichalar El Emperador en la conquista de Tunez. 1#s) Dies betont meines Erachtens zu einseitig Matsche Die Kunst im Dienst der Staatsidee Kaiser Karls VI. 245f. 167) Interessanterweise war es übrigens gerade Karl VI., der wie sein Namensvorgän­ger nun auch wieder politische Kontakte zum Bey von Tunis knüpfte. Nach Ausweis der Wiener Akten (HHStA Staatenabteilungen Tunis 1) kamen im Gefolge des Friedens von

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