Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 37. (1984)

DUCHHARDT, Heinz: Das Tunisunternehmen Karls V. 1535

70 Heinz Duchhardt ten sich auf die Osmanen und den Balkan, und hier waren im ganzen 16. Jahr­hundert die ideologischen Vorbehalte vor allem auf seiten der Pforte noch so stark, daß es niemals zu einem „ewigen“ Vertrag kam160). Um so bemerkens­werter ist der Vertrag von Tunis, den Karl V. in seiner Doppelfunktion als Kaiser und spanischer König mit einem Souverän abschloß, der gerade gegen die Pforte gestützt werden sollte: Die Ideologie, verkörpert insbesondere durch den Begriff des „impium foedus“, hat auch für ihn zurückzutreten, auch für die politische Leitfigur des Abendlandes, den Kaiser, ist der Damm gebrochen, mit ihm versucht die christliche Staaten weit seit den Jahren um 1535 mehr und mehr durch von beiden Seiten anzuerkennende Ewigkeitsklauseln den Islam stärker an das sich ausbildende europäische Völkerrecht heranzuführen, nicht­christliche Staaten berechenbarer zu machen und die bisherige Unsicherheit in den zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen aufzuheben161): Man muß völker­rechtsgeschichtlich von einer tiefen Zäsur, ja könnte politisch fast von einer Art „diplomatischen Revolution“ sprechen. Wenn man den Vertrag von Tunis auf ein von Heinrich Lutz verwendetes Begriffspaar zuspitzen wollte, ließe sich sagen, daß hier erstmals und zumindest punktuell die ragione di stato die christliche Staatsethik mit ihrer Verpflichtung, gegenüber nichtchristlichen Staaten auf Distanz zu bleiben, überlagert hat162). Die Zukunft gehörte - so sehr man verbal noch an christianitas-Modellen und einer theonomen Staats­ethik festhielt - im Bereich der völkerrechtlichen Vertragsbeziehungen dem Pragmatismus, einer nüchternen Real- und Interessenpolitik, und es ist über­aus bezeichnend, daß die französische Publizistik den vermeintlich so revolu­tionären französisch-osmanischen Vertrag von 1536 gelegentlich ganz einfach mit dem absolut parallelzusetzenden Vertrag Karls V. mit Mulay Hasan aus dem Vorjahr legitimiert hat163). Der allgemeine Umbruch mag auch daraus ersehen werden, daß etwa Frankreich von der bisherigen jahrelangen Ver­schleierung und Deklarierung politischer Vereinbarungen mit der Pforte als „Handelsvertrag“ absah und sich nun auch vor einer - zunächst sicher noch empörten - christlichen Öffentlichkeit zur politischen Qualität seiner Kontak­te mit den Osmanen bekannte164). 160) Beispiele: 1498 Waffenstillstand (Göllner Turcica 3 64), 1533 Waffenstillstand (ebenda 108), 1545/47 Waffenstillstand (ebenda 133). 161) Vgl. Kissling Rechtsproblematiken 13. 162) Heinrich Lutz Ragione di stato und christliche Staatsethik im 16. Jahrhundert (Münster 1961). Daß Karl V. mit dem Motiv der Staatsräson wohlvertraut war, bedarf nach den Forschungen Lutz’ 26 keiner weiteren Belege mehr. - Wie sehr das politische Denken im Abendland seit ca. 1460 hier vorbereitend gewirkt hat, macht z. B. das Buch von R. W. Southern Western Views of Islam in the Middle Ages (Cambridge, Mass. 1962), insbes. Kap. III, deutlich. 163) Vgl. Göllner Turcica 3 130. 164) Stellvertretend mag hier der gegen den Kaiser gerichtete türkisch-französische Offensivvertrag vom Februar 1536 genannt sein, mit dem erstmals eine europäische Macht offen einem zum Kreuzzug entschlossenen Kaiser in den Rücken fiel. Text bei Charriére Négotiations 1 283-294. Die Quellenlage ist im übrigen außerordentlich ungünstig; vgl. u. a. Bourrilly L’ambassade de la Forest 309.

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