Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 37. (1984)
MARZAHL, Peter – RABE, Horst – STRATENWERTH, Heide – THOMAS, Christiane: Stückverzeichnis zum Bestand Belgien PA des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien
512 Literaturberichte wenn sich Sch. vom allzu engen Tiroler Standpunkt hätte freimachen können. Nicht Schuldige gilt es zu suchen, sondern Ursachen und Hintergründe. So gesehen hätte sich das angeblich schwierige Problem sehr einfach gelöst: Die im Zeitalter des Nationalismus und Imperialismus entstandene italienische Forderung nach der Brennergrenze konnte durchgesetzt werden im Zug einer Neuaufteilung Europas, die ebenfalls nach nationalistischen und imperialistischen Regeln — durch Wilsons Prinzipien lediglich gemildert - vorgenommen wurde. Zu dieser Erkenntnis hätte es keines 600 Seiten starken Buches bedurft. Trotzdem hat dieses Buch seine Meriten. Unsere Kenntnis der Tiroler Geschichte sowie der Vorgänge innerhalb der österreichischen Delegation in Paris wird erweitert. Sch. übernimmt auch viele Ergebnisse der jüngeren wissenschaftlichen Forschung, die im öffentlichen historischen Bewußtsein in Tirol vielleicht noch nicht genügend Eingang gefunden haben: Italien war weder rechtlich noch moralisch verpflichtet, auf Seite Österreichs in den Krieg einzutreten (S. 47). Der Londoner Vertrag ist nicht das plötzliche Resultat eines Verrats Italiens an seinen Verbündeten (S. 45). Die Ergebnisse des Waffenstillstandes von Villa Giusti waren „keine Perfidie der Italiener“ (S. 153). Das „Schicksal Südtirols“ hat sich nicht durch einen schlecht informierten amerikanischen Präsidenten entschieden, sondern es kann nicht losgelöst von allen anderen Problemen betrachtet werden (S. 79, 88). Das Ziel, Südtirol zu italianisieren, war nicht vom ersten Tag an festgeschrieben, es gab auch andere Auffassungen, und erst mit dem aufkommenden Faschismus gewannen die Italianisierungstendenzen die Oberhand (S. 192). All das ist nicht neu, aber eine Veröffentlichung dieser Forschungsergebnisse in den Schlern-Schriften macht sie einem breiten interessierten Publikum im Lande zugänglich. Bedauerlich sind hingegen zwei Punkte. 1. In der Bewertung der Außenpolitik Otto Bauers läßt der Autor jedes Einfühlungsvermögen völlig vermissen, das ihm sonst, bei Wilson und sogar bei Orlando und Sonnino, nicht fehlt. Er konstatiert eine Teilschuld Bauers am Verlust Südtirols, weil er sich nicht rechtzeitig von der Anschlußpolitik abwandte. Nun gibt es zweifellos einen Zusammenhang zwischen Anschluß und Brennergrenze. Es ist aber Ideologie und nicht Geschichtswissenschaft, Otto Bauer vorzuwerfen, er habe es versäumt, um Südtirols willen den Anschluß aufzugeben. Wenn Wilson Prioritäten zugebilligt werden (S. 92), dann gilt dies wohl auch für Bauer. Hier ist der Autor zu sehr von seiner neuen Quelle fasziniert gewesen. 2. Obwohl sich Sch. mit der eben genannten Ausnahme um Sachlichkeit bemüht und dies auch in der Sprache erkennen läßt, verwendet er doch im Vorwort, im Schluß und nicht selten auch im Verlauf der Darstellung Wendungen, die wohl doch einer vergangenen Zeit angehören: Allzuoft fällt „tragisch“ und „schicksalshaft“ das „Beil“ über Tirol und „zerreißt“ das „tapfer“ ringende Land. Zu sagen, daß mit Paris „der Vorhang über die mit dem Deutschtum verbundene tausendjährige Geschichte Südtirols“ fiel, ist nicht „Liebe zur Heimat“ (S. 13), die Sch. für sich in Anspruch nimmt, sondern einfach falsch. ... ,TIT. , p Stefan Malier (Wien) Peter-Robert Berger Der Donauraum im wirtschaftlichen Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg. Währung und Finanzen in den Nachfolgestaaten Österreich, Ungarn und Tschechoslowakei 1918-1929 (Dissertationen der Wirtschaftsuniversität Wien 35, 2 Bde). Verlag Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1982. V, 649 S., 140 Tab., 19 Graphiken. Eine nach dem Titel vielversprechende Dissertation über die Wirtschaft der drei Nachfolgestaaten Österreich, Ungarn und Tschechoslowakei der Jahre