Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 37. (1984)
SUTTER, Berthold: Machtteilung als Bürgschaft des Friedens. Eine Denkschrift des Botschafters Heinrich von Calice 1896 zur Abgrenzung der Interessensphären zwischen Rußland und Österreich-Ungarn am Balkan
314 Berthold Sutter diese Note „in gewollt dunklen Worten“ die Tür öffnete, „um seiner Zeit mit Begehren und Pressionen zu kommen“, auch wenn sie „Restrictionen“ enthielt, so erschien der Erfolg der Entrevue dem Prinzen Liechtenstein doch noch ein „großer und heilsamer, wenigstens für die nächsten Jahre“. Aber dieses „wenigstens für die nächsten Jahre“ reichte eben nicht aus. Der Versuch Golu- chowskis, nachträglich die mündlichen Ergebnisse der St. Petersburger Konferenz schriftlich zu fixieren, „war ein Fehler“36), denn durch die Reservation Murawiews wurde die österreichisch-ungarische Außenpolitik überspielt und in ihrer Bewegungsfreiheit für ein Jahrzehnt eingeschränkt. Sicher ist es „müßig zu fragen, ob es wirklich im Interesse der Donaumonarchie lag, sich gerade in dem Augenblick, als Rußland sich vom Balkan abwandte, dort die 1879-1914 nach den Akten des Wiener Staatsarchivs (Wien - Leipzig 1920) 78—82 n. 18. - Über die Entledigung seines Auftrages berichtete Prinz Liechtenstein am 18. (6.) Mai 1897 (PA 1474; Bericht n. 26, streng geheim): „Auf dem Gesicht des Grafen las ich neben der zur Schau getragenen liebenswürdig banalen Contenance Verlegenheit, Ängstlichkeit und die Bemühung alles in seinen Folgen und mit seinen möglichen Gefahren schnell zu erfassen. Nach kurzem Schweigen bemerkte er, daß, wie erklärlich und natürlich, geschrieben manches bestimmter klinge als gesprochen ,qu’ on y mettant plus les points sur les i‘. Er werde die ihm übergebene Copie seinem Kaiserlichen Herrn vorlegen, und, sollte der Inhalt integral Seiner Majestät Auffassung der Petersburger Abmachungen entsprechen, mich dies durch eine Empfangsbestätigung wissen lassen, in anderem Falle - mündlich mir seine Bedenken mitteilen. Was schon jetzt seine persönliche, freilich unmaßgebliche Meinung betreffe, so scheine ihm, daß Österreich-Ungarn zwar im Falle der Unmöglichkeit, den status quo am Balkan aufrecht zu erhalten, sich Vorbehalten habe die Occupation Bosniens und der Herzegowina - beim Sandjak könne nur von einer gemischten Occupation gesprochen werden - in eine Annexion zu verwandeln, daß aber Rußland dies nur zur Kenntnis genommen habe (,que la Russie en prend acte*). Bei Albanien hätten beide Regierungen ihren gemeinsamen Standpunkt dahin präcisirt, daß dort, wie überhaupt am Balkan, die beiden befreundeten Kaisermächte für sich keine Vergrößerung ihrer Länder suchen, aber auch dahin strebende Gelüste anderer als der Balkanstaaten nicht dulden würden. Bei Albanien speciell erinnere er sich, daß Euer Exzellenz den Süden desselben als mögliche Erweiterung Griechenland’s bezeichnet hatten. Kurz, sein Eindruck sei, daß Albanien ,un territoire independant' werden sollte, nicht aber daß schon alles für die eventuelle Schöpfung eines autonomen Albaniens fixiert worden sei. Was endlich die eventuelle gleiche Teilung der europäischen Türkei (mit Ausnahme Konstantinopels, eines Weichbildes der Stadt und eines Landstriches am Bosporus und den Dardanellen) unter die bestehenden christlichen Balkanstaaten betreffe, so scheine ihm die Gefahr vorzuliegen, daß ein jeder mit der ihm zugewiesenen Beute sich unzufrieden erklären, und dies auch je nach den Sympathien und Interessen der beiden Kaisermächte die Veranlassung zu Zwistigkeiten zwischen diesen bilden würde. Mir selbst muß es im höchsten Grade erwünscht erscheinen, eine schriftliche Anwort auf Euerer Exzellenz Depesche von der Russischen Regierung an das Wiener Cabinet zu erlangen, da bei der verworrenen weitschweifigen äußerst widersprechenden Redeweise Maurawiew’s meine auch noch so getreue Wiedergabe seiner Worte einem nachträglichen Démenti des Russischen Ministers des Äußeren ausgesetzt wäre. Ich habe seit dem eben berichteten Gespräche den Grafen nicht gesehen. Dagegen bin ich in dieser Angelegenheit viermal mit Botschafter Graf Kapnist zusammengekommen . . .“. 36) Randbemerkung des Botschafters Baron Aehrenthal zur Weisung Goluchowskis n. 556 von 1901 Dezember 29.: HHStA BA St. Petersburg II, 3.