Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

SCHÖDL, Günter: Zur Forschungsdiskussion über alldeutsch-deutschnationale Politik in der Habsburgermonarchie und im Deutschen Reich

416 Literaturberichte keines eine nennenswerte Förderung, in manchen Fällen wird nicht ein­mal der Forschungsstand gewahrt. Nur ein Beispiel: Die viel diskutierte Frage, welchen Anteil Ferdinand am Scheitern der Mission des Reichs­vizekanzlers Held 1536/37 gegenüber dem Schmalkaldischen Bunde hatte, erledigt S. F. durch einen Hinweis auf Helds „confused instructions“ 28). Es wird kaum ein Versuch gemacht, Ferdinands politische Konzeptionen herauszuarbeiten, und wie und in welchem Maße Ferdinand allmählich zu einem eigenständigen politischen Partner Karls heranreifte, auch wenn er den Kaiser immer als letzte Instanz anerkannte, bleibt un­deutlich. Als unzureichend erweist sich der Ansatz, Ferdinands Politik vom dy­nastischen Motiv her deuten zu wollen, auch für die Kaiserjahre29). Nach S. F. waren die Sicherung der Nachfolge im Reich für Maxi­milian und die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu Phi­lipp II. die wichtigsten Anliegen Ferdinands während seiner Kaiserzeit. Nicht in der Kaiserwürde, sondern in seiner Stellung als Haupt der Dynastie nach Karls Resignation und Tod sieht sie auch die wesentliche Positionsveränderung. Diese Gewichtung dürfte durch die einseitige Quel­lenauswahl neben der vorgefaßten Meinung verursacht sein, — in diesem Fall ist es die Korrespondenz Ferdinands mit Philipp. Gewiß hat der neue Kaiser sich intensiv für die Königswahl seines Sohnes bemüht, — aber welcher Herrscher des Mittelalters und der frühen Neuzeit hat derartiges eigentlich nicht getan? Das Auseinanderdriften der beiden habsburgischen Teilbereiche konnte Ferdinand weder verhindern noch ignorieren, vielmehr wußte er, daß er die Probleme des Reiches und der Kirche, die ihm als Kaiser aufgegeben waren, ebenso ohne die spa­nischen Machtquellen bewältigen mußte wie die in seinen Erblanden an­fallenden Aufgaben. Aber sein Bemühen um die Wahrung von Frieden und Recht im Reich, um die Wiedervereinigung im Glauben, um die Reform der Kirche (eben um der Wiedervereinigung willen), was eine Entkrampfung des nach 1555 zuerst sehr angespannten Verhältnisses zur Kurie erforderte, dies und anderes kann man von der Quellenbasis, auf der S. F. sich bewegt, und vom dynastischen Anliegen her nicht an­gemessen fassen. Auch wenn man konzediert, daß S. F. nicht alle Bereiche der Biogra­phie Ferdinands behandeln wollte und daß bei einigen Fragen die dy­nastische Komponente erhebliches Gewicht hat, geht es nicht an, alle im Laufe dieses langen Lebens auf der politischen Bühne Europas gemach­ten Erfahrungen für sekundär — um nicht zu sagen: für irrelevant — zu halten. Die Quintessenz, mit der S. F. ihr Buch abschließt, wonach Fer­dinand lebenslang kaum mehr erstrebt habe als das approximative Funk­tionieren des habsburgischen Familiensystems, um die Herrschaft der Dy­nastie zu sichern, vermag der Bedeutung dieses Fürsten nicht gerecht 28) S. 115. 2») Kapitel XIV und XV S. 218—257.

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