Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)
SCHÖDL, Günter: Zur Forschungsdiskussion über alldeutsch-deutschnationale Politik in der Habsburgermonarchie und im Deutschen Reich
Referate 415 von Moriz Ritter23); die Dissertation von Kurt Diemer über die Eheprojekte für Ferdinands jüngsten Sohn Karl in England24) — also zu einem Thema, dem S. F. doch große Bedeutung beimißt; der wichtige Aufsatz von Gerhard Rill über Ferdinands Gesandten an der Kurie Prosper Graf Arco 25). Der Stellenwert der dynastischen Idee für Ferdinands Leben und Wirken hätte meines Erachtens nur unter Berücksichtigung der skizzierten breiteren Quellenbasis zutreffend bestimmt werden können; nur so wäre auch die angemessene Gewichtung der sonstigen Problemkreise, die für Ferdinand wesentlich sind, möglich. Indessen wird ohnehin im Hauptteil des Buches an mehreren Stellen evident, daß die These von der alles beherrschenden dynastischen Motivation sich nicht durchhalten läßt. Eigentlich in allen Kapiteln und Abschnitten, die von Ferdinands Ostpolitik, d. h. vor allem von seinem Engagement für Ungarn handeln, kann man erkennen, daß hier die Bedrohung durch die Türken primär die Aktivitäten des jüngeren Habsburgers bestimmt hat, auch wenn mit dem Thronstreit mit Johann Zápolya eine dynastische Rivalität eingebunden ist. S. F. macht zu Recht darauf aufmerksam, daß sich gerade für diesen bedeutsamen Bereich Divergenzen in den politischen Konzeptionen der beiden Brüder ergeben haben und daß Ferdinand bei seinen häufig vergeblichen Versuchen, die Prioritätensetzungen des Bruders wenigstens hierin zu seinen Gunsten zu beeinflussen, auch das „dynastische“ Argument, Ungarn sei „für das Haus“ lebenswichtig, ohne nennenswerte Resultate einsetzte. Aber wäre diese Beobachtung nicht Anlaß, die Funktion des Argumentes grundsätzlich zu überdenken? Andererseits ist zu fragen, welchen Beitrag zur Hauptthese die ausführliche Darstellung des Feldzuges in Ungarn 1541/42 leisten soll, an dem Ferdinand doch gar nicht persönlich teilgenommen hat26); seine Beharrlichkeit, mit der er allen Rückschlägen zum Trotz um Ungarn kämpfte, ließe sich auch ohne jene Details erweisen, zumal S. F. darüber doch schon einen Aufsatz veröffentlicht hat 27). Warum wird diese Episode ausführlicher dargestellt als z. B. die Reichs- und Religionspolitik Ferdinands in den dreißiger und vierziger Jahren? Von den zahlreichen offenen Problemen, die zu der Entwicklung im Reich hinsichtlich der Position Ferdinands bestehen, erfährt eigentlich 23) Siehe Anm. 13. 24) Kurt Diemer Die Heiratsverhandlungen zwischen Königin Elisabeth I. von England und Erzherzog Karl von Innerösterreich 1558—1570 (Phil. Diss. Tübingen 1969). 25) Gerhard Rill Prosper Graf Arco, kaiserlicher Orator beim Heiligen Stuhl 1560—1572 in MÖStA 13 (1960) 1—106. 26) In Kapitel IX S. 118—140. 2?) Paula Sutter Fichtner Dynasticism and Its Limitations: the Habs- burgs and Hungary, 1542 in East European Quarterly 4 (1971) 389—407.