Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)
SCHÖDL, Günter: Zur Forschungsdiskussion über alldeutsch-deutschnationale Politik in der Habsburgermonarchie und im Deutschen Reich
412 Literaturberichte orientiert sich durchaus an seinem Lebenslauf: Das erste Kapitel ist seiner Jugend, das letzte seinem Tode gewidmet, und in den anderen 14 Kapiteln wird jeweils eine politische Lebensphase behandelt, — wobei die Überschriften in mehreren Fällen eher geheimnisvoll verrätseln als Aufschluß geben, welche Probleme im Zentrum der Einheit stehen sollen. Daß die Dynastie — genauer: die „Reputation des Hauses“ — für Ferdinand I. einen hohen Stellenwert besessen hat, kann und soll nicht bestritten werden. Aber droht nicht eine Verengung, die zu Fehleinschätzungen führen muß, wenn von einem einzigen Aspekt aus das ganze Leben dieses von so vielen Aufgaben geforderten Mannes begriffen werden soll? Sind die von S. F. herangezogenen Beweisstellen repräsentativ und von so grundsätzlicher Natur, wie die Autorin sie bewertet, und nicht eher beiläufige Äußerungen? Dazu ist eine Betrachtung der Quellenbasis erforderlich, auf der S. F. These und Buch aufgebaut hat. Sie hat offensichtlich geglaubt, die Biographie Ferdinands auf der Grundlage seines Briefwechsels mit Mitgliedern der habsburgischen Familie schreiben zu können. Bekanntlich ist Ferdinands Familienkorrespondenz erst bis zum Jahre 1531 vollständig kritisch ediert (die 3. Lieferung des 3. Bandes — 1532 beinhaltend — steht kurz vor der Ausgabe)9). Für die zweite Hälfte des Lebens hat S. F. in erster Linie die in Wien lagernden Briefbücher herangezogen, dazu einige andere Korrespondenzbestände des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, ferner briefliches Material aus den Archiven in Brüssel und Simancas, letzteres meist Korrespondenz mit Philipp II. (soweit nicht in den Documentos inéditos para la historia de Espana greifbar), außerdem natürlich das entsprechende Material in den bekannten Editionen von Karl Lanz und August von Druffel10 * *). Das sind wertvolle Quellen. Aber man muß dabei doch in Rechnung stellen — nur habe ich keine Stelle gefunden, wo S. F. ihre Quellenbasis kritisch reflektiert hätte —, daß in diesen Korrespondenzen die kurzfristigen taktischen Überlegungen, die Reaktionen auf die „tagespolitischen“ Erfordernisse das Übergewicht haben und daß Ferdinand zumindest gegenüber Karl als der Jüngere eine gewisse Vorsicht beobachtet hat, daß seine Argumentation deutlich auf den Empfänger abgestellt ist. Gewiß wird diese Rücksichtnahme später manchmal etwas ge9) Die Korrespondenz Ferdinands 1. Band 1: Familienkorrespondenz bis 1526, bearb. von Wilhelm Bauer (Wien 1912); Band 2: Familienkorrespondenz 1527—1530, bearb. von Wilhelm Bauer und Robert Lacroix (Wien 1937—1938); Band 3: Familienkorrespondenz 1531 und 1532, bearb. von Herwig Wolfram und Christiane Thomas (Wien 1973—1983) (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 11, 30/31, 58), künftig FK. 10) Correspondenz des Kaisers Karl V. 3 Bände mitgetheilt von Karl Lanz (Leipzig 1844—1846); Briefe und Akten zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf Bayerns Fürstenhaus, 4 Bände bearb. von August v. Druffel und Karl Brandi (München 1873—1896).