Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)
SCHÖDL, Günter: Zur Forschungsdiskussion über alldeutsch-deutschnationale Politik in der Habsburgermonarchie und im Deutschen Reich
410 Literaturberichte renden Historikerin, die bisher mit einigen Detailstudien zur Geschichte Ferdinands I. in angelsächsischen Fachzeitschriften hervorgetreten ist, jenes Desiderat zu befriedigen? Wer ein wenig mit der Historiographie über Karl V. vertraut ist, mag ermessen, daß eine Biographie Ferdinands I. eine komplizierte und umfangreiche Vorarbeiten erfordernde Aufgabe darstellt. Es ist die Verflechtung dieses Habsburgers in schier unzählige Probleme der europäischen Geschichte, die das Unternehmen so schwierig macht. Ferdinand I. war ein Fürst, dessen politisches Verhalten einerseits jahr- zentelang nach den Interessen seines kaiserlichen Bruders, dessen Stellvertreter im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation er war, gravitierte, der aber andererseits im Brennpunkt eines eigenen Interessenfeldes stand, das sich vornehmlich über den süddeutschen und südosteuropäischen Raum erstreckte. Ferdinand wurde hineingezogen in die europäischen Auseinandersetzungen seines Bruders, der von ihm die Unterordnung unter seine Prioritätensetzung erwartete, er war zugleich konfrontiert mit den religionspolitischen und den verfassungspolitischen Problemen, die im Zuge der Reformation das Reich bewegten, er hatte sich den Erfordernissen der Verteidigung seiner Erblande gegen die aus Südosten unablässig gegen die Grenze des christlichen Abendlandes drückende osmanische Militärmacht zu stellen, und er mußte den innenpolitischen Notwendigkeiten seiner so verschieden gearteten Länder gerecht zu werden versuchen. Sein Biograph muß also einen Großteil der politischen Probleme Karls V. unter dem Aspekt untersuchen, wie Ferdinand sich damit auseinandersetzte, in seinen Entscheidungen davon beeinflußt wurde oder auf die Entschlüsse des Bruders Einfluß zu nehmen suchte; er muß dazu das einzigartige — und gewiß einen ganz besonderen Reiz der Biographie Ferdinands ausmachende — Verhältnis des jüngeren zu seinem kaiserlichen Bruder verfolgen. Er muß weiter die besondere Entwicklung und Interessenlage sowohl jener Territorien berücksichtigen, die Ferdinand auf Grund der Teilung mit Karl als Erbe Maximilians I. beherrschte, wie jener, die er durch eigene Anstrengung erworben hatte, was ihn oft genug in andere Richtungen drängte und ihm andere Prioritäten nahelegte, als Karl V. es wünschte. Er muß die andersartigen politischen Erfahrungen und Einflüsse erörtern, denen Ferdinand, der anders als Kaiser Karl von seinem 15. Lebensjahr an bis zu seinem Tode immer nördlich der Alpen geblieben ist, ausgesetzt war, wozu natürlich auch die Einwirkungen seines eigenen Beraterkreises gehören. Er muß schließlich die Veränderungen in der Position Ferdinands als Folge der Niederlage Karls im Reich und die damit verbundenen Umschichtungen in den Problemstellungen behandeln, die nach der Resignation Karls V. auf Ferdinand als einen Kaiser mit wesentlich anderer Machtbasis zukamen. Dieses hier nur notdürftig skiz