Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

FINK, Manfred: Wiener Arbeiterjugend 1894–1914. Ein Beitrag zu ihrer Vereinsgeschichte

Wiener Arbeiterjugend 1894-1914 161 Dementsprechend waren zwei Anträge, die auf diesem außerordentlichen Verbandstag vom 8. September 1908 eingebracht wurden, zum Scheitern verurteilt. Sowohl die Forderung, mit aller Entschiedenheit den Verschlech­terungsversuchen des im niederösterreichischen Landtag am 1. Oktober 1907 beschlossenen Gewerbeschulgesetzes entgegenzutreten „und alle zum Ausbau desselben notwendigen Schritte zu unternehmen“43), als auch das Ersuchen an die Gewerkschaftskommission, den Punkt „Die Jugendorganisation und ihre praktische Förderung durch die Gewerkschaften“ auf die Tagesordnung des bevorstehenden Reichsgewerkschaftskongresses zu setzen44), wurden vom Verband abgelehnt. Somit war nicht nur die organisatorische, sondern auch die programmatische Position Anton Orels entmachtet worden, und dieser Tatsache konnten auch verzweifelte verbale Versuche Orels im Verbandsblatt Die Arbeiterjugend nichts anhaben. So griff er in seinem Artikel Die Lehre vom 16. Jänner*5) die christlichsoziale Arbeiterpartei scharf an und klagte über die mangelnde Einstellung ihrer Vertreter. Somit war eine Grundsatz­debatte in ein Mächte- und Ränkespiel zwischen Partei und Anton Orel um­funktioniert worden, in dem der Jugendliche der Parteiführung vorwarf, an­statt christlicher Volkspolitik imchristlicher, kapitalistischer Klassen- und persönlicher Interessenspolitik den Vorzug gegeben zu haben46). Am 10. Juli 1909 teilte der Obmann des Eigentümerkomitees (Preßkommis- sion) der Christlichen Jugend, dem Nachfolgeorgan der Arbeiterjugend, An­ton Orel den vom Komitee gefaßten Beschluß vom 7. Juli 1909 mit, in dem dieser als Redakteur des Verbandsblattes verpflichtet wurde, alle Artikel und Notizen, „kurz alles, worin irgend eine Kritik der christlichsozialen Partei, sei es nun Gesamtpartei oder die bürgerliche oder die Arbeitergruppe, ent­halten ist“47), vor der Drucklegung dem Vertrauensmann der Preßkommis- sion, Josef Kufe, vorzulegen, der entweder allein oder mit Leopold Kun- schak, Franz Hemala und Franz Bittner zu entscheiden hätte. Diese unver­hüllte Zensur veranlaßte Anton Orel, am 13. Juli 1909 die Redaktion der Christlichen Jugend niederzulegen und die Preßkommission über die Not­wendigkeit einer Neuregelung in Kenntnis zu setzen - nicht ohne seinen Ge­sinnungsgenossen Josef Germ als Nachfolger vorzuschlagen48). Am 15. Juli 1909 beriet die Preßkommission und beschloß, die Demission Orels zur Kenntnis zu nehmen. Aus der Sicht der christlichsozialen Parteiführung war mit der faktischen Eliminierung der Einflußnahme Anton Orels auf das Verbandsleben die feste 43) AJ 18 (1908) 136. 44) Ebenda 140. 45) AJ 3 (1909) lf. Am 16. Jänner 1909 wurden Teüe des am 1. Oktober 1907 im niederösterreichischen Landtag beschlossenen Gewerbeschulgesetzes (Gesetz vom 30. November 1907: Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns n. 171) rückgängig gemacht, darunter auch die Bestimmun­gen bezüglich der Unterrichtszeit. 46) Orel „Jugendpflege“ oder Jugendbewegung 8. 47) Christliche Jugend 13 (1909) 3. 4S) Vgl. ebenda 2. Mitteilungen, Band 35 11

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