Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

FINK, Manfred: Wiener Arbeiterjugend 1894–1914. Ein Beitrag zu ihrer Vereinsgeschichte

162 Manfred Fink Vorstellung verbunden gewesen, einen wesentlichen Schritt in Richtung Par­teijugendorganisation getan zu haben. Wenn nicht übersehen, so doch unter­schätzt wurden zumindest die Reaktionen des Verbandsvorstandes, der ve­hement die Unabhängigkeit bestätigt wissen wollte. So war in der Vor­standssitzung vom 2. August 1909 ein Forderungspaket an die Preßkommis- sion der Christlichen Jugend ausgearbeitet worden, in dem ultimativ die Be­stellung Josef Germs zum Chefredakteur gefordert wurde49). Beide Kontrahenten zeigten sich unversöhnlich. Im September suchte der „Verband der christlichen Jugend Österreichs“ dem Druck, den die christ­lichsoziale Arbeiterpartei durch das Eigentümerkomitee und die Preßkom- mission auf die christliche Jugendorganisation auszuüben entschlossen war, auszuweichen. Ab dem 3. September 1909 erschien Unsere Jugend als neues Organ des Verbandes. Organisatorisch war somit die Loslösung der Christli­chen Jugend vom Verband vollzogen und die Selbständigkeit gegenüber der Parteiführung erhalten worden. In Rückbesinnung auf Vereinstraditionen stellte das nunmehr „verbandslos“ gewordene Eigentümerkomitee die Christliche Jugend ein und brachte im September 1909 die erste Folge der (neuen) Arbeiterjugend heraus. In Hin­blick auf die Zielsetzung - „die christliche Arbeiterorganisation kann und darf auf die Heranbildung der Jugend im Geiste ihrer Grundsätze nicht Ver­zicht leisten“50) — kündigten Leopold Kunschak (Vorsitzender der Parteiver­tretung der christlichsozialen Arbeiterschaft), Adolf Ánderle (Sekretär der Partei Vertretung), Franz Spalowsky (Vorsitzender der Zentralkommission der christlichen Gewerkschafter), Franz Hemala (Obmann des Reichsverbandes der christlichen Arbeitervereine), Franz Bittner (Sekretär des Reichsverban­des) und Josef Kufe (Sekretär der Zentralkommission) die Büdung einer neuen Jugendorganisation an. Tatsächlich hatte Leopold Kunschak am 2. Oktober 1909 dem k. k. Ministerium des Innern die beabsichtigte Bildung eines Vereins unter dem Namen „Reichsbund der christlichen Arbeiterjugend Österreichs“ angezeigt51). Am 14. November 1909 fand die konstituierende Versammlung des Reichsbundes statt, den Anton Orel als „Zeugnis eines Ty­pus falscher Jugendpflege“52) beschrieb und dessen Obmann kein Jugendli­cher, sondern der Sekretär des Reichsverbandes der christlichen Arbeiterver­eine, Franz Bittner, wurde. Somit bestanden ab 1909 auf christlichsozialer Seite zwei Arbeiterjugendor­ganisationen: der „Verband der christlichen Jugend Österreichs. Bund der Arbeiterjugend Österreichs. Kartellierte Verbände“, der, zwar durch ein eini­germaßen gesund strukturiertes Vereinsleben im Sinne einer Arbeiterjugend­organisation entwickelt, in offenem Widerspruch zur Führungsspitze der christlichsozialen Partei agierte, und der neu geschaffene „Reichsbund der 49) Geschichte der christlichen Jugendbewegung 3 15 f. 50) Die Arbeiterjugend NF 1 (1909) 1. sl) Leopold Kunschak an k. k. Ministerium des Innern, 1909 September 24: AVA MdI 15/1 ZI. 33817/1909. 52) Orel „Jugendpflege“ oder Jugendbewegung 31.

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