Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
FINK, Manfred: Wiener Arbeiterjugend 1894–1914. Ein Beitrag zu ihrer Vereinsgeschichte
Wiener Arbeiterjugend 1894—1914 159 dung 1903 sowie die zunehmende Bedeutung der sich im Laufe des Jahres 1904 entwickelnden Bewegung Herausforderung genug dar, die Jugend im Sinne der christlichen Sozialreform zu organisieren. Sämtliche Bemühungen in diese Richtung konzentrierten und verkörperten sich in der Person Anton Orels. Er veranlaßte im November 1904 die Umbildung und Umbenennung des „Christlichen Vereins jugendlicher Arbeiter“ in „Bund der österreichischen Arbeiterjugend“ mit programmatischer Einbeziehung einer zeitgemäßen, gründlichen Reform des gewerblichen Unterrichtswesens33), mußte jedoch einige Wochen später erkennen, daß sich zwar der Anspruch und das Programm des umbenannten Vereins, nicht jedoch dessen Mitglieder den von ihm gewünschten Bedingungen angepaßt hatten. Am 23. Dezember 1904 zeigte Anton Orel behördlich die beabsichtigte Bildung des Vereins „Bund der Arbeiterjugend Österreichs“ an34), dessen Satzungen eine ungleich stärkere Akzentsetzung in Richtung Sozialengagement enthielten. So war es neben Artikel 2, der die „Wahrung und Förderung der geistigen und leiblichen Wohlfahrt, des sozialen und religiösen Bewußtseins der Arbeiterjugend“35) als Vereinsanliegen formulierte, vor allem der Artikel 3, der durch die Konkretisierung der unmittelbarsten Anliegen von Lehrlingen wie Schutzgesetzgebung, organisierte Selbsthilfe, Schutz der Lehrlinge vor Mißhandlung und Gewährung unentgeltlicher Auskünfte in allen Rechtssachen den „Bund der Arbeiterjugend Österreichs“ inhaltlich als einen „echten“ Lehrlingsverein prägen sollte. Unter dem Wahlspruch „Für Wahrheit, Freiheit und Recht“ stellte Anton Orel am dritten Bundestag vom 8. September 1905 - der erste (konstituierende) Bundestag fand am 15. Jänner 1905 statt - die „Unabhängigkeit des Bundes gegenüber jeder politischen Partei bei Anerkennung des christlichen und sozialen Reformgedankens fest“36). Am vierten Bundestag (22. April 1906) waren 84 Delegierte aus sieben Bundesorganisationen - darunter sechs Vertreter des Vereins „Bund jugendlicher Arbeiter in Brünn“ - anwesend. Von Beginn an ging das Bestreben des „Bundes der Arbeiterjugend Österreichs“ dahin, sämtliche bestehenden christlichen Jugendvereinigungen zum Anschluß an die Bundesorganisation zu bewegen und eine geeinte christliche Arbeiterjugendbewegung zu begründen. Um eine Annäherung zwischen den Vertretern des Bundes und denen der übrigen Organisationen herbeizuführen, kam es im Sommer 1905 - ein halbes Jahr nach dem konstituierenden Bundestag - beim katholischen Wohltätigkeitsverband zu einer Annäherung zwischen den Vertretern der christlichen Jugendorganisationen Wiens. Dabei 33) Artikel 3 der Satzungen des Bundes der''österreichischen Arbeiterjugend: AVA K. k. Ministerium des Innern (= MdI) 15/1 ZI. 51337/1904. - Über Orel siehe Emst Joseph Görlich Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel in MÖStA 26 (1973) 375—415. 34) Anton Orel an k. k. Ministerium des Innern,.1904 Dezember 23: AVA MdI 15/1 ZI. 57329/1904 in MdI 15/1 ZI. 51337/1904. 35) Statuten des Vereins „Bund der Arbeiterjugend Österreichs“: AVA MdI 15/1 ZI. 57329/1904 in MdI 15/1 ZI. 51337/1904. 36) Reichspost 1905 September 12 S. 9.