Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

FINK, Manfred: Wiener Arbeiterjugend 1894–1914. Ein Beitrag zu ihrer Vereinsgeschichte

158 Manfred Fink 1911 vollständig der Jugendbewegung widmen konnte“30), sodaß also im Verbandssekretariat seither zwei Jugendliche ganztägig beschäftigt waren. 1911 hatte der „Verband der jugendlichen Arbeiter Oesterreichs“ seinen or­ganisatorischen Höhepunkt erreicht. Insgesamt vereinte er 8.558 Jugendli­che31) in 306 Organisationen, von denen allein auf Böhmen 4.659 Mitglieder (191 Organisationseinheiten) entfielen. Niederösterreich (einschließlich Wien) organisierte 2.563 Lehrlinge in 76 Ortsgruppen und Zahlstellen. Tirol und Vorarlberg gehörten zu den schwächsten Gruppierungen. Die böhmischen Organisationen hatten dem Wiener Verein den Führungsan­spruch streitig gemacht. Die Organisierungsstruktur, nämlich immer klei­nere Aktions- und Agitationseinheiten zu schaffen, brachte mit sich, daß gleichzeitig die Autonomie der deutschböhmischen Vereine jugendlicher Ar­beiter gegenüber dem Verband ausgebaut wurde. So konnte beispielsweise eine Zahlstelle in Böhmen, einer Ortsgruppe untergeordnet, die wiederum dem jeweiligen Kreis- und Landessekretariat Rechenschaft abzulegen hatte, schon auf Lokalebene drei übergeordnete Instanzen ausweisen. Der Wiener Verbandsvorstand schien auch sichtlich beeindruckt von den organisatori­schen Erfolgen in Böhmen und beschloß in der ordentlichen Sitzung vom 27. April 1908, den böhmischen Vertrauensmännern den „besonderen Dank“ für ihre Tätigkeit auszusprechen und dem Landessekretariat in Böhmen K 30 - und dem Kreissekretariat in Nordwestböhmen K. 10.— „zur Agitation zu bewilligen“32). Spätestens 1909 hatte jedoch der Verbandsvorstand sämt­liche Beziehung zur Basis im deutschböhmischen Raum verloren. In Hinblick auf die organisatorischen Leistungen der böhmischen Arbeiter­jugend wundert es kaum, daß der vierte ordentliche Verbandstag des „Ver­bandes der jugendlichen Arbeiter Oesterreichs“ 1912 in Bodenbach an der Elbe abgehalten wurde. Rein äußerlich mag dies die Anerkennung für den Vereinsausbau in Böhmen dokumentiert haben, verbandsintern hingegen schien ein jahrelanges Kräftemessen abgeschlossen. Der Wiener Verein, der den Verband in seiner Doppelfunktion bis 1909 als einen „Wiener Verband“ geprägt hatte, konnte sich in den Jahren ab 1910 nicht im erforderlichen Maße „reaktivieren“, um den Führungsanspruch innerhalb des Verbandes bis 1914 behaupten zu können. II War noch in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Wiener „Verein jugendlicher Arbeiter“ organisatorisch zu schwach gewesen, um die christlichsoziale Arbeiterschaft zu mobilisieren, stellte die Verbandsgrün­30) DJ A 4 (1912) 2 f: Tätigkeitsbericht des „Verbandes der jugendlichen Arbeiter Oesterreichs“ für die Jahre 1909, 1910 und 1911. 31) Ebenda. 32) Protokoll der VII. ordentlichen Sitzung des Verbandsvorstandes, 1908 Aprü 27: AVA SDPSt 9.

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