Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

FINK, Manfred: Wiener Arbeiterjugend 1894–1914. Ein Beitrag zu ihrer Vereinsgeschichte

156 Manfred Fink „Verbandes der jugendlichen Arbeiter Oesterreichs“ mehr oder weniger auto­ritätsgläubig bestrebt gewesen war, mit der Partei in steter Fühlungnahme zu bleiben. Am 11. und 12. April 1909 wurde der dritte ordentliche Verbandstag in Wien abgehalten. Anton Jenschik erstattete als Verbandsobmann im Namen des Vorstandes den Tätigkeitsbericht, über Presse und Finanzen sprachen Robert Danneberg und Fritz Matouschek. Im Anschluß an diese Referate sollte je­doch eine Grundsatzentscheidung die Versammelten während zweier Tage beschäftigen, nachdem die böhmischen Delegierten den Antrag einer nicht nach Geschlechtern getrennten Organisierung gestellt hatten22). Im Namen des Verbandsvorstandes sprach sich Robert Danneberg gegen eine Umwandlung aus; noch vehementer wurde seine Position inhaltlich von mächtigen Festungen wie Partei und Gewerkschaft untermauert. Denn dage­gen argumentierten auch die in Vertretung der „Erwachsenenorganisationen“ erschienenen Delegierten Adelheid Popp23) (Frauenreichskomitee) und Reichsratsabgeordneter Anton Schrammel, der die Auffassung vertrat, daß die gemeinsame Organisierung im Jugendverband nicht nur ein Erziehungs-, sondern ein rein taktisches Problem wäre, dessen Mittel zu erwägen Haupt­aufgabe der Parteileitung sein werde. „Die Partei wird den richtigen Weg in dieser Angelegenheit finden und brauchen wir Ihre Hilfe, so werden wir es nicht verabsäumen, uns an Sie zu wenden“24). Ein Irrtum wäre es gewesen, diesen Antrag am Verbandstag einzubringen. Gegen eine gemeinsame Orga­nisierung sprachen sich ferner der Delegierte der Landesparteivertretung Deutschböhmens, die Niederösterreichische Landesparteivertretung sowie der Delegierte der Gewerkschaftskommission aus. Der Antrag wurde abgelehnt und der Reichenberger Delegierte erkannte die Schwierigkeiten, „gegen den Willen der obersten Parteiinstanzen und gegen den Willen der ersten in unserer Organisation selbst“ einen Beschluß zu fas­sen. „Wenn auch die obersten Instanzen der Partei sich heute dagegen aus­sprechen, so ist damit noch nicht bewiesen, daß die gemeinsame Organisie­rung nicht die richtige wäre“25). Aus zweifacher Perspektive erscheinen die Vorgänge an diesem dritten Ver­bandstag im Jahre 1909 beachtenswert: Erstens wurde offensichtlich be­merkbar, daß Entscheidungen von inhaltlicher, taktischer oder ideologischer Tragweite kaum mehr unbeeinflußt von übergeordneten Einheiten der Arbei­terbewegung blieben, zweitens ergab sich die Tatsache, daß der Wiener Ver­eins- und Verbandsleitung immer stärker die Kontrolle über den Gesamtver­band entglitt. Allen voran hatten sich die böhmischen Vereine eine dem Wie­ner Verein vergleichbare Position geschaffen. 22) Ursprünglich sollten Aufgaben der Bildungsarbeit und des Lehrlingsschutzes im Vordergrund der Beratungen stehen. Vgl. DJA 6 (1909) 7. 23) Das Frauenreichskomitee gab der getrennten Organisierung den Vorzug. Vgl. DJA 7 (1909) 6. 24) Ebenda Protokoll des dritten ordentlichen Verbandstages. 25) Ebenda 5.

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