Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
FINK, Manfred: Wiener Arbeiterjugend 1894–1914. Ein Beitrag zu ihrer Vereinsgeschichte
Wiener Arbeiterjugend 1894—1914 151 würde „ein sehr verderblicher Einfluß auf die minderjährigen Lehrlinge ausgeübt“ und der „Endzweck ihrer Lehrzeit in Frage gestellt“1) werden. Dennoch konstituierte sich am 4. November 1894 der Wiener „Verein jugendlicher Arbeiter.“ Die Mitgliederzahlen während der ersten beiden Jahre des Bestehens schwankten sehr stark. War der Verein Anfang 1895 auf 275 Mitglieder angewachsen und ein deutlicher Aufwärtstrend zu verzeichnen gewesen, markierte die Organisation im Mai des Jahres einen neuerlichen Tiefstand von 1632). Im März 1896 legte der bisherige Obmann Wilhelm Grünwald neben mehreren Ausschußmitgliedem seine Funktion nieder. Ursache dafür dürfte gewesen sein, daß der Vorstand nach Auffassung eines Teiles der Mitglieder nicht intensiv genug gearbeitet hatte. Offiziell wurde auf der am 3. Mai 1896 abgehaltenen Generalversammlung dem abgetretenen Ausschuß Mangel an Tatkraft vorgeworfen, und das Revisionskomitee weigerte sich zu Beginn der Versammlung, den Vorschlag des Absolutoriums zu machen, wobei aber ausdrücklich erklärt wurde, daß nicht etwa unregelmäßige Kassagebarung oder dergleichen der Beweggrund dafür sei3). Tatsächlich waren es weder mangelnder guter Wille noch fehlende Initiative gewesen, die ein Ausgreifen auf breitere Gruppen verhindert hatten. Immerhin hatte man - im Gegensatz zu allen bestehenden Jugendgemeinschaften — ein konkretes, programmatisch orientiertes Ziel, nämlich die Abschaffung des Nacht- und Sonntagsunterrichtes an den gewerblichen Fortbildungsschulen. Dies mußte - zumindest im Selbstverständnis des Vereines - für alle Lehrlinge Motivation genug sein, aus einer gemeinsamen Interessenlage eine vereinte Aktionsbasis zu entwickeln. 29.320 Schüler besuchten 1893/94 134 gewerbliche Fortbildungsschulen im Gewerbeschulbezirk Wien4). Mitgliederzahlen zwischen 150 und 300, womit nur 0,5 bis ein Prozent der Zielgruppe erfaßt wurden, konnten und durften weder den Vereinsvorstand noch die aktiven Mitglieder befriedigt haben. Auch die Führung der Sozialdemokratischen Partei hatte keine erkennbaren Aktivitäten in Richtung Interessengemeinschaft zwischen Verein und Partei signalisiert, - dazu waren die Mitgliederzahlen zu wenig überzeugend gewesen. Die Situation innerhalb des Vereines hatte sich bis 1902 kaum gebessert. Die Obmänner wechselten in regelmäßigem Rhythmus (Robert Lachner, Heinrich Flor und Richard Vollbracht), der erhoffte Zustrom von Lehrlingen blieb aus. Dies erschwerte aber wiederum sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer Hinsicht die Öffentlichkeitsarbeit des Vereinsvorstandes. ') Der Jugendliche Arbeiter (= DJA) 11 (1904) 6. - Alle im folgenden nicht näher belegten Fakten beziehen sich auf Artikel in dieser Verbandszeitschrift. 2) Ebenda 7. 3) DJA 12 (1904) 8. 4) Jahreshauptbericht des k. k. niederösterreichischen Landesschulrates über den Stand des gewerblichen Fortbildungsunterrichtes in Niederösterreich im Schuljahr 1893/1894, 1895 Dezember 18: österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv (= AVA) K. k. Ministerium für Cultus und Unterricht (= MCU) 16 Ai ZI. 30416/1895.