Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55

148 Waltraud Heindl Dies dürfte der Grund dafür gewesen sein, daß Thun zeit seines Amtes als Unterrichtsminister keine Vorschläge mehr für ein definitives Statut für die Universität Wien erstattete53), obwohl er vom Kaiser eindringlich dazu ge­mahnt wurde54), und das „Provisorische Gesetz für die Organisation der Akademischen Behörden“ von 1849 jährlich verlängern ließ55). Er rettete damit sein Reformwerk. Erst im Jahre 1873 kam es unter gänzlich geänderten Umständen endlich zu dem uns bekannten, bis vor kurzem in Österreich gültigen definitiven Gesetz über die Organisation der Akademischen Behörden56). In diesem hatten die veralteten Doktorenkollegien keinen Platz mehr. Allerdings waren - anders als von Thun in den 50er Jahren vorgeschlagen — damit aber auch die leh­renden Doktoren, die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die nicht Professoren waren, von einer entsprechenden Stellung in den akademischen Gremien ausgeschlossen. Das Gesetz kannte nur mehr „Lehrerkollegien“. Der katholi­sche Charakter der Universität wurde auf die katholisch-theologische Fakul­tät beschränkt. Damit hatte das Prinzip der modernen Universität gesiegt. Völlig vergessen wurden in allen Vorschlägen die Studenten. Obwohl die akademischen Nationen, in denen diese bis 1848 organisiert gewesen wa­ren57), außer gewissen Wohlfahrtsaufgaben und der Wahl des Rektors durch die Vorsitzenden der akademischen Nationen, die Prokuratoren, ihre Funk­tionen längst verloren hatten, hatten sie dennoch den Studenten eine gewisse zumindest formale Möglichkeit der Integration in ihre Universität geboten. Über die Notwendigkeit der Auflösung der akademischen Nationen war man sich in allen Gremien einig. Als wichtigstes Argument dafür wurde ange­führt: Die Teilung in die vier dominanten Nationen der Monarchie (die deut­sche, ungarische, slawische und italienische Nation) würde separatistischen Tendenzen Vorschub leisten58). Man glaubte allen Ernstes, durch die Unter­drückung jeglicher studentischer Vereinigungen die Studenten politisch neu­tralisieren zu können. Das Gegenteil war der Fall, die Konsequenzen für die Zukunft Österreichs waren weitreichend. Als Ersatz suchten die Studenten Zuflucht bei den farbentragenden Korpo­rationen nach den vorherrschenden Modellen deutschen Verbindungslebens. Trotz des bestehenden Verbots bildete sich - und dies besonders nach dem für Österreich unglücklichen Ausgang des Krieges mit Frankreich und Sar­53) Im Jahre 1856 entwarf er zwar einen Vortrag, in dem er den Kaiser beschwor, von der geplanten Machterweiterung der Doktoren und vor allem von den Studiendi­rektoren abzusehen, und entsprechende neue Statuten: AVA UM-AR n. 1414/1856 (Sammelakt). Der Vortrag wurde jedoch 1860, nachdem Thun von seinem Amt als Un- terrichtsminister zurückgetreten war, laut einem Vermerk „unexpediert“ vorgefunden. 54) Dies geschah in der Allerhöchsten Entschließung vom 4. Juni 1859 zum Vortrag Thuns vom 4. Juni 1854: HHSTA Kabinettskanzlei MCZ. 1801/1854; dazu auch auf­schlußreich die Sammelakten HHStA Reichsrat, Gremialakten nn. 606 und 618/1859. ss) Reichsgesetzblatt nn. 165/1856 und 161/1857. 56) Reichsgesetzblatt n. 63/1873 von 1873 April 27. 57) Siehe S. 137. 55) Besonders Thun im Motivenbericht (wie Anm. 9).

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