Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55

Universitätsreform — Gesellschaftsreform 147 Die Politik des Innenministers Alexander Bach dagegen war trotz der reak­tionären Tendenzen, die man ihm nachsagte, offensichtlich auf die Ausbil­dung einer bürgerlichen Gesellschaft gerichtet, einer Gesellschaft, in der eine Schicht den Ton angab, die sich aus „Bildung und Besitz“ formierte. Tat­sächlich finden wir in den Doktorenkollegien in erster Linie Repräsentanten des hohen Beamtentums und der freien Berufe, Ärzte und Rechtsanwälte, vertreten51), die dem sogenannten Bildungsbürgertum angehörten. Bildung war ein wesentliches Vehikel bürgerlicher Emanzipation, besonders in Öster­reich, wo es mit der Emanzipation durch Besitz viel schwieriger bestellt war. Die Angehörigen der Doktorenkollegien mußten daher als fester Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft gelten, und - sehen wir uns die Zusammenset­zung an - so erhebt sich die Frage, ob die einzelnen Mitglieder wirklich so „konservativ“ waren, wie der Ruf der Doktorenkollegien als Kollektivorgan war. Der Eingriff des Staates in die Agenden der Universität jedoch, den Bach, dieser Anhänger einer bürgerlichen (liberalen) Gesellschaft parado­xerweise befürwortete, entsprach dem etatistischen Denken, das in Öster­reich selbst in liberalen Kreisen Tradition hatte. In diesem Licht gesehen war die Bildungspolitik der Minister eine konse­quente Fortsetzung ihrer allgemeinen Gesellschaftspolitik und entsprach dem jeweiligen Gesellschaftsideal, das sie zu verwirklichen anstrebten. Die Allerhöchste Entschließung vom 25. Juni 1856, durch die der Kaiser die Richtlinien für die künftigen Statuten der Universität Wien vorzeichnete, er­folgte nicht ganz im Sinne Thuns: Den nichtlehrenden Doktoren wurde indi­rekt (durch Wahlmänner bei der Dekanatswahl) im Vergleich mit Thuns Vor­schlägen zu viel Macht zugebilligt und - der gravierendste Unterschied - an die Spitze der Fakultäten sollten wieder Studiendirektoren treten52). 51) Das Hof- und Staats-Handbuch des Kaiserthumes Österreich gibt im Jahre 1856 295 Mitglieder des Doktorenkollegiums der Juristenfakultät an, unter anderem fol­gende prominente Namen: die Beamten Oberlandesgerichtspräsident Sommaruga, Staats- und Konferenzrat Pilgram, Ministerialrat Vesque von Püttlingen, Ministerial­rat Hye von Glunek, Ministerialrat Radda, Oberstaatsanwalt Theobald Rizy, Staatsrat Pipitz, Ministerialrat Tomaschek, Landesgerichtsrat Johann Perthaler, Staatsanwalt Moritz Ritter von Schmerling, den Statistiker Adolph Ficker, den Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Franz Erb, die Advokaten Mühlfeld, Karl Giskra, Johann Ne­pomuk Berger und August Bach, Bruder Alexander Bachs. 52) Diese Allerhöchste Entschließung erfolgte zum Vortrag Thuns vom 4. Juni 1854: HHSTA Kabinettskanzlei MCZ. 1908/1854 (wird gedruckt in Die Protokolle des öster­reichischen Ministerrates 1848-1867 III/3, wie Anm. 9). Hier heißt es: „Für den Fall, daß die nichtlehrenden Mitglieder der Fakultät an Zahl geringer sind als die lehren­den, wird der Fakultät für die Wahlhandlung eine entsprechende Zahl von nichtleh­renden Mitgliedern des Doktorenkollegiums beigegeben“ und „An die Spitze jedes der vier Studienzweige werden an der Universität Wien von Mir ernannte Direktoren ge­stellt . . . Der Direktor ist zugleich Präses der Fakultät und hat nach Normen, unter welchen in dem Entwürfe der Statuten Mir Anträge werden zu erstatten sein, hinsicht­lich gewisser Gegenstände die ordentlichen Professoren, in eigentlichen Studien auch die außerordentlichen einzuvernehmen, anderes aber der Fakultät vorzulegen.“ io*

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