Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55

146 Waltraud Heindl in den 60er Jahren im Verein mit „freisinnigen“ Journalisten entschieden für die Erneuerung der Universität und gegen ihren katholischen Charakter im Sinne eines liberalen Programms auftraten45). Von unserem heutigen Standpunkt aus, in den selbstverständlich diese späte­ren Entwicklungen miteinbezogen werden können, scheint es daher wider­sprüchlich, daß ein dem Konservativismus verpflichteter Mann wie der Un­terrichtsminister für eine soziale Elite Partei ergriff, die kraft ihres Amtes Generationen von Studenten im liberalen Sinne zu beeinflussen vermochten, die reformerisch eingestellten Minister Bach und Krauß hingegen für eine konservative Institution, die längst veraltet war. Für die Zeitgenossen hat sich das freilich anders dargestellt, besonders dann, wenn man Bachs und Krauß’ Haltung im Konnex mit ihrer allgemeinen poli­tischen Linie sieht. Dem Unterrichtsminister ging es unbestritten, wie oft zi­tiert46), um die Wissenschaftlichkeit der Universitäten, aber ebenso um die Herausbüdung einer Generation, die dem österreichischen Gesamtpatriotis­mus im christlich-konservativen Sinne verschrieben war47). Letzteres konnte er durch Professoren in seinem Sinne, die er durch eine entsprechende Beru­fungspolitik, wie er sie bis dahin praktiziert hatte48), zu erreichen hoffen: Damit beabsichtigte er, die liberalen und nationalen Elemente auszuklam­mern. Die Doktorenkollegien jedoch, die sich hauptsächlich aus Repräsen­tanten der freien Berufe zusammensetzten, konnte er nicht im selben Maße im Griff haben. Als solche hatten sie sich in der Regel als ein verläßliches Instrument der be­rufsorientierten Wissenschaft erwiesen49). Eine hauptsächliche Ausrichtung auf Berufsbüdung, ohne die Gesamtbildung des Menschen zu berücksichti­gen, stand aber dem neuhumanistischen Humboldtschen Büdungsideal, dem Thun verpflichtet war, diametral entgegen. Die diesem Bildungsideal eben­falls entnommene „Freiheit der Wissenschaft“ paßte im Grunde genauso in den, um mit Otto Brunner zu sprechen, „alteuropäischen Tugendkatalog“50) wie die hierarchische Gliederung der Ordinarienuniversität in seine christ­lich-ständisch-patriarchalische Konzeption. Thuns Berufungspolitik konnte allerdings die Sprengkraft der „protestan­tisch-liberalen Universität“ nicht hemmen, ihr gehörte die Zukunft: Das war Thuns Mißverständnis der „Freiheit der Wissenschaften“. 45) Gail Doktorenkollegien 55ff. 46) Lentze Universitätsreform 79—148; Lhotsky Das Ende des Josephinismus 52 6 f und 540. 47) Aufschlußreich diesbezüglich ist die Schrift des Thun nahestehenden Unter­staatssekretärs Joseph Alexander von Helfert Über Nationalgeschichte und den ge­genwärtigen Stand ihrer Pßege (Prag 1853); dazu auch Heindl Universitätsreform und politisches Programm 79 und 92. 4S) Siehe S. 149. 49) Thienen-Adlerf lycht Wandlungen des österreichischen Studiensystems 30. 50) Bei Brigitte Mazohl-Wallnig Lo sviluppo de la problematica costituzionale dopo la rivoluzione del ’48 in La dinamica statale austriaca nel XVIII e XIX secolo, a cura di Pierangelo Schiera (Bologna 1981) 321 nach Otto Brunner Adeliges Landle­ben und europäischer Geist. (Salzburg 1949) 74-84.

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