Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55

Universitätsreform — Gesellschaftsreform 145 Zuordnungen, wie sie im allgemeinen von Zeitgenossen bezüglich Professo­ren und Doktoren getroffen wurden, in Betracht zieht. Die Doktorenkollegien galten als konservativ, um nicht zu sagen als Boll­werk der Reaktion. Entscheidendes Kriterium für ideologische Einordnungen war damals außer der Haltung zur Revolution von 1848 die Stellung zur ka­tholischen Kirche und - ein wenig später, als es um den Abschluß des Kon­kordats ging - zu deren Einfluß auf staatliche Angelegenheiten. Nun waren die Doktorenkollegien der medizinischen, juridischen und — allen voran - der katholisch-theologischen Fakultät bereits im Jahre 1851 gegen die Wahl des Protestanten Hermann Bonitz, der von Thun als Reformer des Mittelschulwe­sens von Berlin nach Wien berufen und zum Professor der klassischen Alter­tumskunde ernannt worden war, zum Dekan der philosophischen Fakultät mit dem Hinweis aufgetreten, daß die Universität Wien ausschließlich katho­lischen Charakter trage39). In den 60er Jahren spitzte sich diese Position der Doktoren erst recht zu - gegen die Professoren, die im Sinne des Liberalis­mus gegen den ausschließlich katholischen Charakter der Universität zu Felde zogen40). Paradoxerweise, das sei zur Illustration der Szene angeführt, erstellte im Jahre 1851 der Rechtsanwalt Dr. Eugen v. Mühlfeld, selbst Mit­glied des Doktorenkollegiums, das so prokatholische Gutachten gegen die Wahl Bonitz’ für die „konservativen Doktoren“41), derselbe Mühlfeld, der 1848 Vertreter bei der Frankfurter Nationalversammlung gewesen war und der dann in den 60 er Jahren als Abgeordneter der liberalen Partei im Abge­ordnetenhaus in wütenden Wortgefechten für die Aufhebung des Konkordats kämpfte42). Die Professoren dagegen galten damals bei Zeitgenossen als „freiheitlich“ und fortschrittlich gesinnt. Den Behörden war allein die Verbindung von Wissenschaft und Revolution seit den Studentenbewegungen von 1848 ver­dächtig, und dies war nicht ganz aus der Luft gegriffen: Nicht nur in Wien hatten eine Reihe von beamteten, dem Staat verpflichteten Professoren im Zuge der Ereignisse der Revolution die Forderungen der revolutionären Stu­denten unterstützt43), und es waren die Professoren, die - trotz der so autori­tären Berufungspolitik Thuns in den 50er Jahren, durch die in erster Linie Professoren aus katholisch-konservativen Kreisen berücksichtigt wurden44) — 39) Geschichte der 'Wiener Universität 43 f. 40) Gail Doktorenkollegien 55ff; zur Auseinandersetzung zwischen Doktoren und Professoren in den 60er Jahren auch dsbe Alma Mater Rudolphina 1365-1965. Die Wiener Universität und ihre Studenten, hg. von der österreichischen Hochschüler­schaft an der Universität Wien (Wien 1965) 24f und 170f. 41) Geschichte der Wiener Universität 44. 42) Karl Vocelka Verfassung oder Konkordat? Der publizistische und politische Kampf der österreichischen Liberalen um die Religionsgesetze des Jahres 1868 (Stu­dien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 17, Wien 1978) 52-68. 43) Bezüglich der Universität Krakau z. B. Waltraud Heindl Universitätsreform und politisches Programm. Die Sprachenfrage an der Universität Krakau im Neoabso­lutismus in österreichische Osthefte 20 (1978) 81 f. 44) Lentze Universitätsreform insbesondere 79-148; Lhotsky Das Ende des Jo­sephinismus insbesondere 526 f und 540 f. Mitteilungen, Band 35 10

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