Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55
144 Waltraud Heindl sein, wenn sie ihre Aufnahme in die Fakultät ausdrücklich erwirkt hätten. Voraussetzung dafür war die Erwerbung des Doktorats an einer inländischen (später konzedierte Bach auch an einer ausländischen) Universität oder die Habilitierung an der Universität Wien. Damit war einer vollständigen Restauration der vormärzlichen Verhältnisse das Wort gesprochen. Die hier skizzierten Stellungnahmen in der Diskussion der Ministerkonferenz sind auf den ersten Blick widersprüchlich und entsprechen nicht dem Bild der sonst in diesem Gremium gewohnten Parteizuordnung. Thun, der Feudalkonservative, der wohl einerseits für die Erneuerung des Studienwesens, andererseits aber auch beispielsweise (und dies noch 1852 und nach 1859) für die Rückkehr zur alten Patrimonialgerichtsbarkeit eintrat34), ergriff die Partei des radikalen Wandels, der modernen Universität, so wie sie 1848/49 und später in den 60er Jahren35) von den liberalen Professoren gefordert wurde. Bach und auch Krauß dagegen, die, wie bereits erwähnt, als reformerisch und modernitätskonform galten und besonders auf wirtschaftlichen und rechtlichen Gebieten einer gewissen Liberalisierung nicht abgeneigt waren, zeigten dagegen ihre imverhohlenen Sympathien für die alte österreichische, im Ausland bereits unverständlich gewordene36) Universität. Als die Angelegenheit zur Beratung in den Reichsrat kam, sollte sich erweisen, daß dieser, insbesondere Reichsratspräsident Friedrich Freiherr von Kübeck, die Partei Bachs und Krauß’ ergriff und ebenfalls für die Wiedereinführung der vormärzlichen Universität eintrat37). Damit wurde Thun mit seinem Projekt, eine moderne Universität zu schaffen, in den Gremien der Regierung allein gelassen. Freilich verwundert die Haltung des 75jährigen Kübeck, der besonders nach den Ereignissen von 1848 äußerst konservativ eingestellt war38), weniger als die eben beschriebenen Stellungnahmen der anderen Regierungsmitglieder, und dies umso mehr, wenn man die weltanschaulichen 34) Heindl Einleitung XXVII; Christoph Thienen-Adlerflycht Graf Leo Thun im Vormärz. Grundlagen des böhmischen Konservativismus im Kaisertum Österreich (Veröffentlichungen des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institutes 6, Graz- Wien-Köln 1967) 34f. 35) Zu den Ereignissen in den 60er Jahren Gail Doktorenkollegien 54. 36) Ein bezeichnendes Licht wirft diesbezüglich die Stellungnahme der Doktorenkollegien der Universität auf der Versammlung der deutschen Universitäten in Jena im September 1848, auf der die Wiener Doktoren für sich das Recht requirierten, die Fakultät im Gegensatz zum „Studium“ zu vertreten, Graduierungen zu erteilen und Berufungen zu beurteilen. Die Lehrerkollegien seien, so meinten sie, „Departements“ für Studienangelegenheiten und hätten gemeinsam mit den Doktoren die oben angeführten Agenden durchzuführen. Die Wünsche der Doktorenkollegien stießen bei den Vertretern der deutschen Ordinarienfakultäten verständlicherweise auf Erstaunen: Geschichte der Wiener Universität 28f. 37) Dazu HHSTA Reichsrat, Gremialakten 349/1856 und 962/1856 (Sammelakten). 3S) Vgl. vor allem Friedrich Walter (Hg.) Aus dem Nachlaß des Freiherrn Carl Friedrich Kübeck von Kübau. Tagebücher, Briefe, Aktenstücke (1841-1855) (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 45, Graz-Köln 1960) ab 16 passim.