Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
LUTTENBERGER, Albrecht: Landfriedensbund und Reichsexekution. Friedenssicherung und Bündnispolitik 1552/1553
6 Albrecht Luttenberger Scheidungskompetenz von vornherein empfindlich bemerkbar. Sehr rasch nämlich setzte sich in Passau die Auffassung durch, daß über die Gravamina und das künftige Verfahren bei der Behandlung der Religionsfrage nur ein Reichstag verbindlich verhandeln und definitiv beschließen konnte. Mit Ausnahme der Bestimmungen über einen ewigen Religionsfrieden, die eine sehr weitgehende inhaltliche Festlegung bedeuteten, bot der erste Vertragsentwurf in seinen reichspolitisch belangvollen Teilen dann auch nicht mehr als ein Beratungsprogramm für den alsbald zu veranstaltenden Reichstag. Zudem verfügte die Passauer Versammlung naturgemäß nicht über eine ordnungsgemäße Zwangsgewalt. Die Streitigkeiten Herzog Heinrichs von Braunschweig mit den braunschweigischen Junkern und die Spannungen zwischen den beiden sächsischen Linien bargen noch in der ersten Jahreshälfte 1553 genügend beängstigenden Konfliktstoff. Folgenreicher und schlimmer noch war, daß Markgraf Albrecht Alkibiades nicht in das Vertragswerk eingebunden werden konnte. Mit Vermittlungsangeboten und der Mahnung zum politischen Kompromiß war seiner rabiaten, rücksichtslosen Kriegsführung nicht beizukommen. Was not tat, war eine erfolgversprechende Alternative, ein neues Befriedungskonzept. Die Anregungen und Entwürfe, die dazu aus dem Herbst 1552 vorhegen, belegen in ihrer Unterschiedlichkeit zunächst einmal ganz allgemein die relative Offenheit der gegebenen Verfassungssituation des Reiches. Daß sie so stark divergierten, erklärt sich ziemlich zwangslos daraus, daß sie, was die überterritoriale friedenspolitische Führungskompetenz und -autorität anging, auf sehr verschiedenen Prämissen basierten. So glaubte etwa der Mainzer Kurfürst im Oktober 1552 die Frage der Landfriedenssicherung am besten auf dem künftigen Reichstag aufgehoben11). Dort sollte ein umfassender Bund gegründet und ihm die Friedenswahrung anvertraut werden. Trier indessen leitete aus dem pfälzischen Reichsvikariat und der besonderen Verantwortung der Kurfürsten für das Reich die Legitimation und Kompetenz für eine ständische Friedensinitiative ab, die von Kurpfalz in Gang gebracht werden sollte, über deren weitere Entfaltung allerdings keine konkreten Vorstellungen entwickelt wurden12). Aus Rücksicht auf den Kaiser fühlte sich Pfalz außerstande, auf diese Trierer Anregung einzugehen13). Aus dem gleichen Grund unterblieb auch die monatelang zwischen Pfalz, Jülich, Württemberg und Bayern erörterte definitive Vereinbarung einer engen politischen Kooperation, die zunächst vor allem als Beitrag zur Stabilisierung der regionalen und reichspolitischen Verhältnisse gedacht war und im übrigen sich auf der Linie des Passauer Vertragstextes und der Libertätsdiskussion xl) Vgl. die Mainzer Aufzeichnungen zu Beratungen über den Passauer Vertrag, 1552 Oktober 19: HHSTA Mainzer Erzkanzlerarchiv, Religionssachen 3 fol. 346—347. 12) Vgl. Kurfürst Johann von Trier an Kurfürst Friedrich von der Pfalz, 1552 August 27 Ehrenbreitstein: Hauptstaatsarchiv München (künftig HSTA München) Kasten blau 105/4 B unfol. 13) Vgl. das pfälzische Ratsprotokoll, 1552 September 9: ebenda.