Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
314 Jac Bosmans III/1 Aus dem ersten Bericht an den Völkerbundsrat ergibt sich, daß Zimmerman die Zustimmung des Kanzlers und des Finanzministers hatte, einen ausländischen Experten nach Österreich zu berufen, der die Möglichkeiten für eine Reorganisation der Bundesbahn untersuchen sollte. Dieser Betrieb war in hohem Maße unrentabel. Die Bundesbahn bildete „den Krankheitssitz des österreichischen Staatshaushaltes“, und nach der Überzeugung Zimmermans befand sich der Etat außer Gefahr, sobald die Finanzen dieses Betriebes in Ordnung gebracht sein würden107). Eine Reorganisation der Bundesbahn auf autonomer kommerzieller Basis, wie im Wiederaufbaugesetz angekündigt, hielt Zimmerman deshalb für notwendig. Ein Engländer oder ein Amerikaner, der bei einer noch nicht vom Etatismus infizierten Privatgesellschaft beschäftigt sein sollte, schien ihm die richtige Person für die Vorbereitung dieser Reorganisation108). Anfang Februar 1923 hielt Zimmerman sich in London zu Besprechungen über die kurzfristige Anleihe auf. Diese Gelegenheit benützte er, um sich nach einem Kandidaten umzuschauen; zugleich hatte er in Genf um Namen gebeten. Von Seite Österreichs wurde ihm anfangs kaum Mitarbeit zuteil. Kienböck, der zugleich mit Zimmerman in London war, nahm im Gegensatz zu seinem offiziellen Standpunkt eine strikt ablehnende Haltung ein. „Nothing pleased him better“, stellte Salter fest, der sich auf Wunsch Zimmermans nach Kandidaten in England erkundigte, „than to hear of a candidate’s death or any other obstacle that would give him an opportunity for escaping from the suggestions pressed upon him that somebody ought to be appointed“ 109). Der erste seriöse Kandidat war Ernest Paget, aber Kienböck glaubte zu wissen, daß dieser vor kurzer Zeit gestorben sei. In Eisenbahnkreisen galt Paget als ein Mann mit großen Fähigkeiten, wohingegen ihm manche einen schwierigen Charakter nachsagten; sie verbreiteten deshalb allerhand Gerüchte, auf die der Minister gerne hereinfiel. Indessen stellte sich heraus, daß Paget noch am Leben war. Zimmerman schien er allerdings nicht geeignet, da er nicht Deutsch sprach. Kienböck förderte Francis Dent, der als Vorsitzender der Kommission für die Verteilung des rollenden Materials der Doppelmonarchie die österreichische Bundesbahn bereits kannte. Aber auch Dent beherrschte die deutsche Sprache kaum und zeigte überhaupt kein Interesse für das Amt. Ein Monat verging, ohne daß etwas geschah. Paget hatte nach Ansicht Salters immer noch die besten Chancen. Mittlerweile hatte Kienböck wieder etwas anderes erfahren: Paget sei Garagenbesitzer! Jedoch nicht deswegen, sondern weil i07) ya Dept. 14 ZU. 65 und 168 ex 1923: Zimmerman an Seipel, 1923 Februar 23. i°8) premier Rapport du Commissaire Général, S. 9; C52 11/3: Pelt an Haas, 1923 Januar 11. 109) C52 11/3: Salter an Zimmerman, 1923 März 3.