Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

Ausländische Präsenz in Österreich 1922—1926 309 Amt zurückgetreten wäre. Dies wiederum war für Reisch der Grund zum Nachgeben gewesen83). Diese Diskontsatzerhöhungen hatten jedoch wenig Erfolg. Deshalb drängten die Banken, die Industrie und auch die Politiker, die um die Arbeitslage bangten, auf Herabsetzung des Zinsfußes. Weshalb sollte man die Kredite so hoch verzinsen, wenn die Nationalbank nicht davon profitieren konnte? Die Bankführung erwog eine Herabsetzung des Zinsfußes um 3 Prozent. Zim­merman aber befürchtete, daß eine starke Herabsetzung eine verstärkte Spe­kulationsfreudigkeit auslösen würde. Die Aktion würde seiner Meinung nach einen schlechten Eindruck im Ausland machen, und außerdem sei Norman nicht damit einverstanden84). Ungeachtet dieser Einwände wurde der Dis­kontsatz Anfang November 1924 herabgesetzt, allerdings nur um 2 Prozent. Norman hatte sich von prinzipiellen Gründen leiten lassen. Hinzu kam sein Ärger darüber, daß Wiener Bankiers in London und Paris Interessenten emp­fohlen hatten, österreichische Aktien zu kaufen, — mit der Begründung, daß nach der bevorstehenden starken Zinsenherabsetzung der Kurs der Aktien steil ansteigen würde85). Auch hatte der Gouverneur wenig Begeisterung über das Versprechen der Nationalbank, die Anleihen mit großer Vorsicht und erst nach eingehender Prüfung zu gewähren, gezeigt. Denn in London betrachtete man diese Art der Aufsicht seit der Spekulation nicht als die stärkste Seite der Nationalbank86). Wie immer versuchte Franckenstein — wenngleich ohne großen Erfolg — bei der britischen Presse und auch bei Niemeyer und Norman Verständnis für den Standpunkt Wiens zu wecken87). Anfang Dezember 1924 fuhr: Reisch, wenn auch mit großem Widerwillen, selbst nach London, um die Angelegen­heit zu erläutern. Eigentlich betrachtete er seine Mission als zwecklos, denn er hatte den Eindruck, daß die Engländer nur auf ihren eigenen Vorteil be­dacht waren. Einen zusätzlichen Grund für seine negative Einstellung vertrat er nach dem Besuch der Neuen Freien Presse gegenüber: „Die verhältnismäßig ruhige Entwicklung der englischen Wirtschaft und der bekannte konservative Sinn des englischen Volkes erschweren natürlich das Verständnis für so grundlegende Umwälzungen, wie sie durch den Umsturz und die Inflation in Öster­reich herbeigeführt wurden und naturgemäß noch immer fortwirken. In der Weltge­schichte der Volkswirtschaften darf man nicht nach Jahren, sondern höchstens nach Quinquennien oder Dezennien rechnen, was natürlich die Ungeduld des Völkerbund­83) C9 5/2c: Van Gyn an Zimmerman, 1924 Juli 11. 84) C9 5/2d: Unterredung Zimmermans mit Kienböck, 1924 November 20, und mit Van Gyn und Kienböck, 1924 November 4. 85) C9 5/2c: Van Gyn an Zimmerman, 1924 November 12. Die österreichische Re­gierung ließ die Sache durch ihren Gesandten in London untersuchen, und dieser kam zu der Schlußfolgerung, daß von einer mündlichen Propaganda überhaupt nicht die Rede sein könne, höchstens von einer schriftlichen; HHStA NP A 40: Franckenstein an Mataja, 1924 Dezember 5 und 14. 86) HHStA NPA 40: Gesandtschaftsbericht aus London, 1924 Oktober 30. 87) HHStA NPA 40: Gesandtschaftsberichte aus London, 1924 Dezember 7, 13 und 19.

Next

/
Thumbnails
Contents