Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
310 Jac Bosnians planes, baldmöglichst einen durchschlaggebenden Erfolg desselben konstatieren zu können, auf eine harte Probe stellt“88). Reisch empfand die Unterredungen als ein unerträgliches Verhör. Francken- stein gegenüber, der den künftigen Beziehungen zwischen London und Wien mit wenig Hoffnung entgegensah, erklärte der Präsident, daß er nötigenfalls zurücktreten wolle89). Der Hauptteil des Gespräches mit Norman war der Frage der Preissteigerung gewidmet. Reisch vertrat die Ansicht, daß sich durch die Stabilisierung der Krone die Preise automatisch erhöht hätten und sich erst dann stabilisieren würden, wenn das Weltniveau erreicht sei; die Nationalbank könne dazu wenig beitragen, auch nicht mit Hilfe einer Diskontsatzerhöhung 90). Van Gyn teilte diese Meinung Reischs; er hatte sich allmählich zum Verständnis für die Bankpolitik Österreichs durchgerungen. In zwei persönlichen Briefen an Zimmerman äußerte sich Van Gyn ziemlich negativ über die Haltung Londons. Seiner Meinung nach werde Reisch wie ein Lausbub behandelt; man verlange von ihm, daß er wie ein Hexenmeister Blei in Gold verwandle. ,Die Bereitschaft, eine Einigung zu erzielen, muß da sein, und man soll in London nicht einfach auf einer vorgefaßten Meinung weitertreiben, die teilweise sicherlich auf eine üble Laune und einen Mangel an wissenschaftlicher Sicht zurückzuführen ist.“ Er riet Zimmerman, Reisch in London nicht allzusehr anzuschwärzen; der Präsident höre doch wohl auf seinen Berater und auf Brauneis, der bereit sei, den Wünschen Londons so weit als möglich entgegenzukommen. Die Preissteigerung sei nach der Auffassung Van Gyns nicht die Folge von Inflation; sie bringe einfach die Verelendung Österreichs ans Licht. Diese Erkenntnis spreche gegen die Absicht Englands, das die Preise künstlich daran hindern wolle, sich dem Weltpreisniveau anzupassen. .Kein Vertuschen der Wirklichkeit, was doch nur vorübergehend möglich ist. Wenn die Engländer das tatsächlich wollen, dann sind sie gefährliche Berater.1 Van Gyn teilte nicht die Ansicht Londons, daß bei einer Erhöhung der Preise auch die Löhne steigen würden. Zu diesem Zweck solle man sparsamer leben oder tüchtiger arbeiten, dann würden die Löhne wieder akzeptabel werden. Erhöhung oder Senkung der Währung aber biete nicht die Möglichkeit, einer nun einmal bestehenden Verarmung zu entkommen91). Die Atmosphäre in London während des Besuches Reischs wurde noch dadurch gespannter, daß Norman die Spekulation mit dem Franken und die Börsenkrise zur Sprache brachte92). Das Gespräch endete mit der bereits angeführten Mißbilligung der Geschäftsführung Reischs. Jedermann glaubte 88) Neue Freie Presse!Morgenblatt 1924 Dezember 18. 89) HHStA NPA 40: Franckenstein an Mataja, 1924 Dezember 14. 90) Neue Freie Presse!Morgenblatt 1924 Dezember 18 und 21. 91) C9 5/2c: Van Gyn an Zimmerman, undatiert (zwischen 1924 Dezember 24 und 1925 Januar 5); Van Gyn an Zimmerman, 1925 Januar 9. 92) Sill 2/19/4: Norman an Zimmerman, 1924 Dezember 16.