Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
Ausländische Präsenz in Österreich 1922—1926 305 der Großmächte schien ihm wenig wünschenswert, wenn er sich die Einwände Londons ins Gedächtnis zurückrief; damals hieß es ja, dies könnte in Österreich oder anderswo bestimmte Gefühle verletzen. Er hätte einen Schweizer, besonders aus dem deutschsprachigen Gebiet, oder einen Skandinavier vorgezogen. Aber wen er auch dafür zu interessieren versuchte, immer wieder war etwas an der Person auszusetzen: mangelnde Gesundheit, Alter, fehlende Erfahrung67). Schließlich griff er auf seinen Landsmann Anton van Gyn zurück, den er schon von Anfang an gerne in Wien gesehen hätte. Dieser wurde vorläufig für drei Monate eingeladen, unter der Bedingung, sofort nach Wien zu kommen. Bei Ablehnung von Seite Van Gyns hätte Zimmerman Norman gebeten, einen Funktionär der Bank von England für dieses Amt zu bestimmen. Aber Van Gyn brauchte nicht viel Bedenkzeit. Er beendete seine Vorlesungen und brach sofort seine Arbeit als Abgeordneter ab. Am 13. Mai fing er seine Tätigkeit in Wien an68). Van Gyn hat das Amt bis Ende 1925 innegehabt; nach dem ersten Aufenthalt in Wien pendelte er zwischen den Niederlanden und Österreich. Der Beschluß des Völkerbundsrates im September 1925, wonach der Berater noch drei Jahre nach der Amtsenthebung des Generalkommissärs tätig bleiben sollte, war der Grund, weshalb Van Gyn um seine Entlassung einreichte. Wer würde seine Nachfolge antreten? Der Gedanke lag nahe, daß diesmal ein Engländer an die Reihe kommen würde. Norman war ja noch immer bestrebt, die Zentralbanken Europas der Bank von England möglichst zu verpflichten. Und in der Vergangenheit hatte es eben schroffe Meinungsdifferenzen zwischen ihm und dem Präsidenten Reisch gegeben, der nicht gesonnen war, die englische Zwangsjacke ohne weiteres anzuziehen. II/3 Ein Beispiel dieser Meinungsdifferenzen ist der Hergang während der Börsenkrise des Jahres 192469). Ende März 1924 bat der Finanzminister den Generalkommissär, die Wiener Börse durch Mittel aus der internationalen Anleihe zu unterstützen. Vierzehn Tage später stellte Kienböck einen zweiten Antrag. Beide Ansuchen bewilligte Zimmerman70). Als sich Kienböck zum dritten Mal auf den Generalkommissär berief, lehnte dieser jedoch ab. Die 67) Unter ihnen befanden sich viele Schweizer. Auffallend ist daher, daß Zimmermann Die Schweiz und Österreich hierüber keine Mitteüung macht. 68) C7 5/2-2: Undatiertes Telegramm der niederländischen Botschaft in Wien an Van Gyn in Den Haag, der das Telegramm am 5. Mai 1924 empfing; Telegramm Zimmermans an Salter, 1924 Mai 12; Unterredung Zimmermans mit Reisch, 1924 Mai 9; Neue Freie Presse/Morgenblatt 1924 Mai 18. 69) Zur Börsenkrise im Allgemeinen die Diplomarbeiten von Martina Bauer Stabilisierungskrise und Börsenkonjunktur. Ein Beitrag zur wirtschaftlichen Situation Österreichs in den Jahren 1922-1926 (Wien 1975 ungedr.) und Leopold Unger Hausse und Krise an der Wiener Börse 1923/24 (Wien 1976 ungedr.). 70) FA Dept. 14 ZI. 23428 ex 1924: Kienböck an Zimmerman, 1924 März 26; Cll 5/3a-2: Grimm an Zimmerman, 1924 April 13. Mitteilungen, Band 34 20