Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

300 Jac Bosmans entscheide; für den Fall, daß der Rat nicht zu einem Entschluß kommen könnte, würde Nachgiebigkeit des Präsidenten und des Beraters unter mora­lischem Druck des Generalkommissärs wohl zu einer Lösung führen. Die Er­nennung schließlich sollte durch die Regierung auf Antrag des Generalkom­missärs erfolgen39). Was bewog die Leute in London dazu, den Einfluß des Generalkommissärs in diesem Falle möglichst einzuschränken? Man war der Ansicht, daß der Bera­ter keine politische Person sein dürfe und daß er abhängig auftreten müsse, also nicht als Vertreter eines Außenseiters, nämlich des Generalkommissärs, der österreichischen Regierung oder des Völkerbundes. Es gehört ja zu den Eigenschaften von Finanzleuten, der Einmischung in Bankangelegenheiten von Regierungen und aus politischen Kreisen zu mißtrauen40). Am 17. Januar überreichte Zimmerman dem österreichischen Finanzminister einen neuen Entwurf, in dem die Richtlinien Londons, die für ihn fast zwin­genden Charakter hatten, verarbeitet worden waren. Nun wurde auch wieder mit Nachdruck bestimmt, daß die Amtszeit mit der des Generalkommissärs enden solle. Zimmerman machte Kienböck deutlich, daß weder bei ihm noch beim Völkerbund Einspruch gegen die Entscheidungen des Beraters erhoben werden könnte. Einen kausalen Zusammenhang zwischen der Änderung der Satzungen und dem Erwerb ausländischer Kredite bestand seiner Meinung nach nicht mehr, wahrscheinlich weü London seinen Standpunkt so eindeu­tig zu verstehen gegeben hatte. Noch am selben Tag beriet das österreichische Kabinett den neuen Entwurf. Wenig überraschend war die Erklärung Reischs, der der Sitzung des Mini­sterrates beiwohnte. Er meinte, der Präsident werde jetzt entmündigt, und dies könne er nicht akzeptieren. Daher liege es auf der Hand, so sagte er, jetzt noch einen Ausländer zum Präsidenten zu ernennen. Aber davon wollte Seipel nichts wissen. Man entschloß sich, die Frage mit dem Generalkommis­sär und in London erneut zu besprechen41). Eine Rekonstruktion der neuen Verhandlungen ist wegen fehlender Doku­mentation nicht möglich. Fest steht jedoch, daß Kienböck in London eine Be­sprechung mit Niemeyer hatte, in der sich der Minister mit einigen Änderun­gen durchsetzen konnte: Der Präsident der Nationalbank werde mit dem Be­rater eine Abmachung treffen für jene Fälle, in denen der Berater die Be­schlüsse der Bankleitung bewilligen sollte. Außerdem solle dem Berater die Schweigepflicht auferlegt werden42). Die Abmachung zwischen Berater und Präsident würde am 27. Juli 1923 unterschrieben werden und bis zum Herbst 1925 geheim bleiben43). 39) C7 5/2-2: Niemeyer an Zimmerman, 1923 Januar 13. 40) C7 5/2-2: Niemeyer an Zimmerman, nicht datiert (zwischen 1923 Januar 13 und 17). 41) AVA MRP n. 257, 1923 Januar 17. 42) C7 5/2-2: Niemeyer an Zimmerman, 1923 Januar 29. 43) C6 5/2-2: Vereinbarungen zwischen dem Präsidenten der österreichischen Na­tionalbank und dem Berater gemäß Artikel 127 der Satzungen.

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