Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 301 Danach genehmigte der Ministerrat am 9. März die Gesetzesvorlage zur Änderung der Banksatzungen44). Die Übersetzung des Wortes „Conseiller“ führte noch zu einigen Schwierigkeiten, doch wählte man schließlich auf Antrag Zimmermans die Bezeichnung „Berater“45). Die Vollversammlung der Nationalbank genehmigte die Änderung mit übergroßer Mehrheit. Unter denjenigen, die dagegen stimmten, befanden sich die italienischen Aktionäre, deren Sprecher Mylius erklärte, er halte die Ernennung eines Beraters nicht für lotwendig; es schade dies nur der Unabhängigkeit und dem Ansehen der 3ank46). Da der Generalkommissär nach zwei Jahren nicht außer Funktion trat, blieb der Berater automatisch im Amt. Und als sich der Völkerbundsrat im September 1925 dazu entschloß, die Kontrolle durch den Generalkommissär im Laufe des Jahres 1926 aufzuheben, wurde sogar bestimmt, daß der Berater noch drei Jahre nach dem Abschied des Generalkommissärs in seinem Amt bleiben sollte. Dies hatte selbstverständlich wieder eine Änderung des Bankstatutes zur Folge47). Was die Person des Kandidaten betrifft, so kam 1923 als erster natürlich Janssen für das Amt des Beraters in Betracht. Er hatte ja schon mitgeteilt, daß er ein solches Amt wohl antreten wolle, wenn sein Aufenthalt in Wien nur für einige Tage im Monat erforderlich wäre. Zimmerman beharrte aber auf der Forderung, daß der Berater sich ständig in Wien aufhalten müsse, und somit schied Janssen aus. Es fragt sich, ob Zimmerman diese Bedingung stellte, weil er ständig einen Experten in der Nähe haben wollte, oder um die Ernennung des Belgiers dadurch zu verhindern. Er wußte ja, daß ein ständiger Aufenthalt in Wien für Janssen nicht akzeptabel war, und es gibt Gründe für die Annahme, daß ihm dessen Ernennung nicht genehm war. Wie wir später sehen werden, legte Zimmerman auf die Forderung nach ständigem Aufenthalt anderen Kandidaten gegenüber wenig Wert. Er hielt Janssen jedoch nicht für die geeignete Person, sondern zog seinen Landsmann Anton van Gyn vor, der während des Krieges 1914—1918 niederländischer Finanzminister gewesen war, danach königlicher Kommissär bei der Nederlandsche Bank, Abgeordneter im Parlament und Professor der Volkswirtschaftslehre in Leiden. Zimmerman betrachtete ihn als den hervorstechendsten Befürworter von Sparmaßnahmen, einer gesunden Geldwirtschaft und einer soliden Bankpolitik48). Für London war Van Gyn ebenfalls eine akzeptable Person, doch befürchtete man dort Schwierigkeiten von Seiten Österreichs gegen die Ernennung eines zweiten Niederländers; eine Person aus einem neutralen 44) AVA MRP n. 265, 1923 März 9. 45) C7 5/2-2: Unterredung Zimmermans mit Kienböck und Reisch, 1923 März 16. 46) Neue Freie Presse/Abendblatt 1923 April 17. 47) XXXV. Bericht des Generalkommissärs des Völkerbundes für Österreich, 15. Juni — 15. Juli 1925 S. 24—27 (Antrag des Generalrates auf Satzungsänderungen); Neue Freie Presse/Morgenblatt 1925 November 11. 48) S59/Bank adviser: Note Zimmermans an Van Walré de Bordes, Ende Dezember 1922 oder Anfang Januar 1923.