Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 299 kein Bedenken, wenn die Regierung vorläufig von einer einjährigen Amtszeit sprechen werde; außerdem dürfe die Regierung die Änderung nach außen hin als Voraussetzung für das Gelingen der Anleiheaktion deklarieren. Im Ministerrat erstattete Kienböck am 9. Januar Bericht von dieser Unterre­dung. Seipel hatte offenbar nicht damit gerechnet, daß Zimmerman die Sa­che so gründlich angehen würde. Der Kanzler schlug nämlich als Regie­rungsstandpunkt vor, daß man nur mit dem Völkerbundsrat weitere Ver­handlungen führen könne. Die Regierung sei ja nur an die in den Protokollen genannten Verpflichtungen gebunden, und verschiedene von Zimmerman vorgebrachte Punkte, wie die aktive Rolle des Generalkommissärs und des Völkerbundsrates, ließen sich nicht aus den Protokollen herauslesen. Die Übereinkunft vom 4. Oktober 1922 sollte nach Seipels Meinung also geändert werden. Anscheinend wollte er jetzt, wo das Amt des Präsidenten sicherge­stellt war, noch einmal versuchen, sich der ausländischen Einmischung zu entledigen. Sein Standpunkt wurde vom ganzen Kabinett ohne Diskussion übernommen. Noch am selben Tag informierte Kienböck den Generalkom­missär37). Zimmerman war keineswegs davon begeistert, daß man die Frage dem Völ­kerbundsrat vorlegen wollte. Er versprach sich davon nur Schwierigkeiten mit den Finanzzentren im Ausland. Die Regierung werde schon einlenken, so glaubte er, wenn London seinen Standpunkt nur unterstütze38). Dies geschah denn auch, nur in einer anderen Form, als er gehofft hatte. Am 13. Januar fand in London eine Unterredung statt, an der sich unter anderen der stell­vertretende Gouverneur der Bank von England, Niemeyer, Salter und Stra- kosch beteiligten. Janssen und Jan van Walré de Bordes, einer der Mitarbei­ter Zimmermans in Wien, die beide in Zusammenhang mit den Kreditver­handlungen in der britischen Hauptstadt weilten, waren bei der Besprechung mit anwesend. Auch hier gelangte man zu der Feststellung, es sei absolut un­erwünscht, daß der Völkerbund sich in diese Angelegenheit einmische. Auf mehr hatte Zimmerman nicht gehofft, aber die Versammlung nahm auch sei­nen Vorschlag unter die Lupe. Man hielt es für äußerst wichtig, daß der Kommissär, den man besser „Conseiller“ nennen sollte, nicht der formalen Aufsicht des Generalkommissärs unterstand. Letzteren konnte man ja in er­ster Linie als einen Vertreter der Regierungen betrachten, während der Bera­ter den Bankiers zuliebe ernannt werden würde. Weiters zweifelte man, ob es wohl vernünftig sei, dem Berater ein Vetorecht zuzuerkennen; er bekäme da­durch mehr Macht als der Präsident, man bevorzuge aber gleiche Macht für beide Funktionäre. Es wäre besser, eine Klausel einzubauen, wonach alle Schriftstücke, die der Präsident unterzeichnen würde, vom Berater mitunter­schrieben werden müßten. Auch bevorzugte man den Bankrat als jene In­stanz, die im Falle einer Meinungsdifferenz zwischen Berater und Präsident * 3 37) AVA MRP n. 254, 1923 Januar 9; C7 5/2-2: Kienböck an Zimmerman, 1923 Ja­nuar 9. 3S) C7 5/2-2: Telegramm Zimmermans an Van Walré de Bordes, 1923 Januar 10.

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