Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 297 Franckenstein, um ihm die Schwierigkeiten darzulegen, die Österreich jetzt beim Krediterwerb erfahren würde. In den ersten Tagen nach dem 21. Dezember wurde noch die Möglichkeit der Ernennung eines Ausländers zum Vizepräsidenten erwogen, aber dies genügte Norman nicht30). Auch bei dieser Gelegenheit bot Mussolini einen Sonderkredit für den Fall an, daß man einen Italiener zum Vizepräsidenten ernennen würde31). Zimmerman selbst konnte sich zwar in die Lage der österreichischen Regierung versetzen und Verständnis für ihre Probleme aufbringen, aber nach außen hin übte er dieselbe Kritik wie Norman32). n/2 Nach der Sitzung des Ministerrates am 21. Dezember 1922 schrieb Seipel dem Generalkommissär einen Brief, in dem er diesem den gefaßten Entschluß mitteilte und ihn zu einer Beratung über die notwendig gewordene Änderung der Banksatzungen einlud33). Man kann nur Vermutungen anstellen, weshalb Zimmerman diese Einladung erhielt. Im Bankstatut sollte dem Ausländer, der als Vertrauensmann der Bankierswelt auftreten würde, ein Platz eingeräumt werden, aber nirgendwo gibt es einen Hinweis dafür, daß diese Problematik zur Kompetenz des Generalkommissärs gehörte. Vermutlich lud die Regierung ihn ein, um durch ihn die Leute in London - besonders Montagu Norman — milde zu stimmen, da sich deren Wille, was die Person des Bankpräsidenten betraf, nicht durchgesetzt hatte. Andererseits kann man sich fragen, ob die Regierung sich ein anderes Vorgehen hätte erlauben können. Die Anleihebeschaffung als Zwangsmittel in der Hand, hätte Norman durch Zimmerman zweifellos ein Mitspracherecht gefordert. Aus der Formulierung der Einladung an Zimmerman kann man schließen, daß die Regierung davon ausging, daß die Abgrenzung der Befugnisse des Ausländers eine Angelegenheit war, die nur sie betraf, bei der Zimmerman sie jedoch beraten dürfe. Es wird sich im folgenden zeigen, daß Zimmerman anfangs nach eigener Ansicht handelte, sich jedoch bald den Wünschen Londons fügte, und daß sogar die Regierung dem Druck Londons nicht entgehen konnte. Ende Dezember brachte Janssen in Wien zu, und Zimmerman bat ihn, bei der Änderung der Satzungen behilflich zu sein. Die Richtlinien, die Zimmerman gab, bezogen sich unter anderem auf die Forderung, der Bankexperte solle über dieselbe Macht verfügen wie der Präsident, und er müsse sich ständig in Wien aufhalten, um den Generalkommissär in bankpolitischen Angelegenheiten zu informieren und zu beraten34). 30) HHStA NPA 40: Gesandtschaftsbericht aus London, 1922 Dezember 23; S59/Bank adviser: Note Niemeyers an Monnet und Avenol, 1922 Dezember 22. 31) Telegramm Mussolinis an Orsini-Baroni, 1922 Dezember 29, in 1 Documenti Diplomatie Italiani 1 186f n. 281. 32) C7 5/2-2: Telegramm Zimmermans an Salter, 1922 Dezember 29. 33) Premier Rapport du Commissaire Général, S. 16f (wie Anm. 20). 34) C7 5/2-2: Telegramm Zimmermans an Avenol, 1923 Januar 2.