Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

296 Jac Bosmans Aber Zimmerman beging den Fehler, die Ansicht Pantaleonis für den offi­ziellen italienischen Standpunkt zu halten. Pantaleoni telegrafierte die von Zimmerman gegebene Formel sofort nach Rom, und Mussolini sandte ein Te­legramm zurück, in dem er forderte, man müsse sich in das Amt des Präsi­denten einkaufen: Italien werde Österreich einen Sonderkredit verschaffen, - jedoch nur bei Ernennung eines Italieners zum Präsidenten! Diese Depesche konnte nicht mehr die erhoffte Wirkung erzielen, denn sie erreichte Wien ei­nen Tag nachdem die Entscheidung bereits gefallen war; das Entsetzen im Palazzo Chigi war daraufhin groß26). Am Abend des 20. Dezember besuchten Seipel und Grünberger auch noch die französische und die englische Botschaft. Auf der französischen fanden ihre Pläne Anklang, auf der englischen jedoch, wo zufälligerweise der - in seinem Amt sehr einflußreiche, was die Sanierung Österreichs anbelangt - Direktor der finanziellen und wirtschaftlichen Abteilung des Völkerbundssekretariats Arthur Salter zugegen war, erfuhren sie, daß man in englischen und ameri­kanischen Bankierskreisen, die man schließlich für die Aufbringung des größten Teiles der Kredite bereitfinden mußte, verstimmt wäre, sollte Jans­sen nicht zum Präsidenten ernannt werden27). Man wußte dort offensichtlich noch nicht Bescheid über den Entschluß Janssens, ebensowenig hatte man aus London Anweisungen bekommen, sich in dieser Angelegenheit anders zu verhalten. Kurz vor Beginn der Sitzung des Ministerrates warnten Zimmerman und Salter den Kanzler zum letzten Mal: Die Lösung, zu der die Regierung neig­te, sei weder wirksam genug noch praktisch. Seipel antwortete, daß in den Protokollen die Frage der Nationalität des Präsidenten nicht berührt worden sei und daß die Regierung in dieser Hinsicht also freie Hand habe28). Die Re­gierung blieb bei dem eigenen Vorschlag, einen Österreicher zum Präsidenten zu ernennen und einen Ausländer einzuladen, er möge dem Präsidenten zur Seite stehen. Schließlich faßte das Kabinett den Entschluß, Dr. Richard Reisch, den ehemaligen Finanzminister und jetzigen Vizepräsidenten der Bo­denkreditanstalt, zu ernennen und Albert Janssen einzuladen, dem Präsidium der Nationalbank beizutreten. Dem Generalkommissär wurde eingeräumt, sich an der Festsetzung der Befugnisse Janssens beteiligen zu dürfen29). In London war man verstimmt, — das konnte nicht ausbleiben. Niemeyer gab dem österreichischen Gesandten in London, George Franckenstein, zu ver­stehen, daß führende Bankiers in der City beunruhigt seien. Und Norman selbst, in hohem Maße gereizt, weil der Druck, den er auf die österreichi­schen Bankiers ausgeübt hatte, ohne Erfolg geblieben war, besuchte nun 26) AVA MRP n. 251, 1922 Dezember 21; Telegramm Mussolinis an Orsini-Baroni, 1922 Dezember 22 in I Documenti Diplomatici Italiani 1 173f n. 260; Cassels Musso­lini 71. 27) AVA MRP n. 251, 1922 Dezember 21. 28) Premier Rapport du Commissaire Général, S. 16f (wie Anm. 20). 29) AVA MRP n. 251, 1922 Dezember 21.

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