Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 295 ner waren jedoch nicht auf derselben Welle wie Mussolini: Dieser beharrte auf der Ernennung eines Italieners, „um die vorrangigen Interessen Italiens in Österreich zu wahren“22). Stetig suchten die Österreicher jetzt nach einem Kompromiß und glaubten einen solchen in der Ernennung eines Österreichers zum Präsidenten und in der Mitgliedschaft eines ausländischen Experten mit besonderen Vollmachten im Bankpräsidium gefunden zu haben. Davon versprach sich die Regierung, den politischen Schwierigkeiten im eigenen Haus aus dem Wege gehen zu können und sich gegen die Möglichkeit des Auslands, der neuen Bank sein Vertrauen zu entziehen, gewappnet zu haben23). Nach Seipel ging diese Lösung auf einen Vorschlag des Generalkommissärs zurück. Es ist jedoch zweifelhaft, ob man Zimmerman als den auctor intellectualis dieses Plans betrachten darf. Er war ja dem Londoner Standpunkt gemäß für die Ernennung eines Ausländers zum Präsidenten und hätte in diesem Stadium die von der Regierung vorgeschlagene Prozedur bestimmt nicht gebilligt. Es fällt ins Auge, daß dieser Kompromiß dem Vorschlag Albert Janssens ähnlich sieht, doch ist es so gut wie ausgeschlossen, daß dieses Projekt in jenem Augenblick in Wien bekannt war, als die Regierung den Kompromiß vorlegte. Eher liegt der Gedanke nahe, daß die Regierung auf eine Abmachung mit der Bank von England vom August 1922 - einen früheren Versuch, ausländische Kredite zu bekommen, - zurückgriff; in dieser Vereinbarung war enthalten, daß ein Engländer dem Aufsichtsrat der Bank beitreten würde24). Die Annahme des Seipel-Biographen Rennhofer, daß die Ernennung eines ausländischen Experten durch die österreichische Regierung bei der Nationalbank ganz spontan stattgefunden habe, entbehrt also jeder Grundlage25). In der Sitzung des Ministerrates vom 21. Dezember mußte es zu einer Entscheidung kommen, denn die Konstituierung der Nationalbank war auf den nächsten Tag festgesetzt worden. Am Abend des 20. Dezember unterbreiteten Seipel und der Außenminister Grünberger ihren Kompromißvorschlag dem Generalkommissär. Zimmerman gab ihnen noch einmal den dringenden Rat, einen Ausländer zu ernennen. In einem Gespräch mit Pantaleoni kurz vorher hatte er versucht, dem Vorsitzenden des Kontrollkomitees deutlich zu machen,* daß es sich dabei nicht um eine Ernennung für längere Zeit handle, sondern daß der ernannte Ausländer das Amt des Präsidenten für die Zeit eines Jahres innehaben werde, jene Zeit also, die man für die Einrichtung der Bank benötige; aus diesem Gespräch glaubte er schließen zu dürfen, daß Italien sich der Ernennung eines Nichtitalieners nicht weiter widersetzen werde und der Erfüllung der Wünsche Londons nichts mehr im Wege stehe. Dezember 20, in I Documenti Diplomatici Italiani. Ser. VII: 1922-1935, 1 (Roma 1953) 169f n. 252. 22) Stefan Maifér Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg, österreichisch-italienische Beziehungen 1922-1923 (Wien-Köln-Graz 1978) 130. 23) AVA MRP n. 251, 1922 Dezember 21. 24) Ladner Seipel 83f. 25) Rennhofer Seipel 370.