Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
294 Jac Bosnians durchsetzen zu können. Er machte sich sogar auf die Suche nach einem Kandidaten, ohne die Regierung in Wien davon in Kenntnis zu setzen. Am 30. November 1922 bat er die belgische Nationale Bank, es Albert Janssen zu ermöglichen, das Amt in Österreich anzutreten18). In Brüssel lehnte man jedoch ab. Eine längere Abwesenheit von Brüssel war Janssen nicht sehr angenehm. Deshalb stellte er sich nur für eine beschränkte Kontrolle zur Verfügung, ein Amt, das seine Anwesenheit in Wien nur einige Tage im Monat erfordern würde. Weil Norman zu keinem Kompromiß bereit war, reiste Janssen nach London, um den Gouverneur davon zu überzeugen, daß ein Kontrolleur bei der österreichischen Nationalbank ausreichen würde. Vergebens, Norman ließ sich nicht von seinem Standpunkt abbringen. Einen Beweis dafür, daß er der große Mann hinter den Kulissen war, erbringen schon die Äußerungen von Niemeyer und Strakosch, die Janssen gegenüber erklärten, auch sie seien der Meinung, daß ein Kontrolleur ausreiche; man müsse jedoch daran festhalten, daß der Präsident ein Ausländer sei, damit man Normans Vorstellungen entspreche. Am 18. Dezember lehnte Janssen offiziell das Amt des Präsidenten ab, ein Entschluß, von dem man in Wien vorläufig nichts wußte19). Mittlerweile war Zimmerman in Wien eingetroffen. Er sah sich dem Drängen Englands und Frankreichs und der Forderung Italiens gegenübergestellt und wird deshalb zu der Überzeugung gelangt sein, daß ihm in dieser Angelegenheit kaum noch eine bedeutende Rolle zuteil werden würde. Er schloß sich dem englischen Standpunkt an und erwies sich bald als Vertreter der Interessen Londons bei der österreichischen Regierung. Im Sinne des Gelingens der Emission der Anleihe riet er der Regierung, für die Dauer der Organisierung der Bank und der Kreditverhandlungen einen Ausländer zu ernennen, der in den großen Finanzzentren der westlichen Welt Autorität habe20). Für die österreichische Regierung wurde die Frage noch heikler, als auch die französische Regierung offiziell Stellung nahm. Der italienische Gesandte in Paris hatte gegen die eventuelle Ernennung eines nichtitalienischen Ausländers protestiert, was den französischen Gesandten in Wien veranlaßte, bei der österreichischen Regierung darauf zu dringen, sie möge den italienischen Forderungen nicht entgegenkommen. Kurz darauf wurde Bundeskanzler Seipel, dem Außenminister und dem Finanzminister von Orsini-Baroni, dem italienischen Gesandten in Wien, und von Pantaleoni, dem Vorsitzenden des Kontrollkomitees, geraten, unter diesen Umständen doch lieber einen Österreicher zu ernennen. Pantaleoni nannte dies sogar eine conditio sine qua non für die italienische Teilnahme am Wiederaufbau Österreichs21). Beide Italie18) HHStA NP A 40: Gesandtschaftsbericht aus London, 1923 Dezember 23. 19) C7 5/2-2: Van Walré de Bordes an Avenol, 1923 Januar 2. 20) Premier Rapport du Commissaire Général de la Société des Nations pour l’Au- triche. Période du 15 décembre 1922 au 15 janvier 1923, S. 15f (Zimmerman an Seipel, 1922 Dezember 19); AVA MRP n. 251, 1922 Dezember 21. 21) R519/10B/24908/24907: Note pour M. Avenol sur une conversation avec Sir Arthur Salter (Vienne, 1922 Décembre 21); Telegramm Orsini-Baronis an Mussolini, 1922