Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 291 nicht in dem Tempo durchgeführt wurde, das sich die Beteiligten im Herbst 1922 vorgestellt hatten. Weil die Regierung 1923 die Erfahrung gemacht hatte, daß sie mit dem Etat­schema der Provisorischen Delegation eine Anzahl von Plänen nicht realisie­ren konnte, und weil die Staatseinnahmen stark angestiegen waren, äußerte sie dem Generalkommissär und dem Völkerbundsrat gegenüber den Wunsch, das Niveau, auf dem sich der Etat im Gleichgewicht halten sollte, zu heben. Der Völkerbundsrat beschloß, das Finanzkomitee möge zusammen mit dem Generalkommissär untersuchen, ob es möglich sei, die Wünsche der Regie­rung zu berücksichtigen. Diese Untersuchung fand erst im Spätsommer 1924 statt. Da infolge eines jähen Zusammenbruchs der Spekulation im Frühjahr 1924 eine Börsenkrise entstanden war, wollten Zimmerman und das Finanzkomitee die Sache nicht überstürzen; sie wollten mehr Gewißheit über die Folgen der Krise haben. Das war auch der Grund dafür, daß der Völkerbundsrat im September 1924 Entschlüsse faßte, die in Österreich kaum Zustimmung fanden. Es herrschte hier in der öffentlichen Meinung die Überzeugung vor, man habe den ur­sprünglichen etatmäßigen Verpflichtungen Folge geleistet und deshalb habe die Budgetkontrolle durch den Generalkommissär für alle Zukunft zu unter­bleiben. Der Völkerbundsrat faßte den Entschluß, den Ausgabenplafond in Kürze auf 495 Mülionen Goldkronen festzulegen. Weiters bestimmte der Rat, daß die Kontrolle erst dann eingestellt werden solle, wenn die Punkte des Reform­programms, die noch ausstanden, realisiert sein, der Rechnungsabschluß des Jahres 1925 sowie der Etat von 1926 innerhalb der neu vorgeschriebenen Grenzen verbleiben und schließlich die wirtschaftliche Lage Vertrauen er­wecken werde; der Generalkommissär werde also bestimmt noch bis Mitte 1926 im Amt bleiben. Allerdings könne die Kontrolle, wenn auch nur in un­tergeordneten Punkten, abgeschwächt werden, wenn aüe Gesetzes- und Ver­waltungsmaßnahmen für die Durchführung der restlichen Punkte des Re­formprogramms getroffen seien und das Parlament den neuen etatmäßigen Grenzen zugestimmt habe; ein Punkt, der Zimmermans Meinung nach im August 1925 erreicht worden war. Obwohl die Kontrolle noch fast zwei Jahre ausgeübt werden sollte, wollte und konnte der Völkerbundsrat nichts zur Verstärkung der eigentlich recht schwachen Position des Generalkommissärs unternehmen. Die Konstruktion, nach der die Verwaltung des Anleiheertrages dem Generalkommissär die Si­cherheit geben sollte, das Ganze auf effektive Weise zu beaufsichtigen und auf die Durchführung des Reformprogramms zu achten, war bloße Theorie; in der Praxis, so stellte sich schon bald heraus, war sie unzulänglich. Die Protokolle sahen nicht den Fall vor, daß die Regierung innerhalb der gesteh- ten Frist einmal ohne Anleiheertrag auskommen und somit den General­kommissär umgehen konnte, und deshalb hatte man den Generalkommissär nicht mit Sanktionsbefugnissen ausgerüstet, die er in solchen Fähen hätte anwenden können. Auch im September 1924 wurde in dieser Hinsicht nichts 19*

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