Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 289 Stadt Rotterdam, in Österreich bereits bekannt wegen seiner schiedsgericht­lichen Arbeit in einigen finanziellen Fragen, die mit der Übergabe Westun­gams an Österreich zusammenhingen7). Anfangs hatte er kaum an ein Gelin­gen des Unternehmens geglaubt, schließlich war er aber zu der Überzeugung gelangt, daß eine Ablehnung seinerseits der österreichischen Sache nur scha­den würde; und dies hatte ihn dazu veranlaßt, die Stellung, wenn auch vor­läufig nur für einige Monate, anzutreten. Als im Februar 1923 Aussicht auf Emission der ausländischen Anleihe entstand, schöpfte er daraus genügend Vertrauen für die Zukunft und nahm das Amt endgültig an. Die Anleihe kam in zwei Phasen zustande. Das Gelingen der Emission war ganz von der Bereitschaft des englischen Kapitalmarktes zur Teilnahme ab­hängig. So wurde der Gouverneur der Bank von England, Montagu Norman, die Achse, um die sich alles drehte. Es kam noch hinzu, daß Norman sich vor eine besondere Aufgabe gestellt fühlte, nachdem auf der Konferenz von Ge­nua (1922) - dem Aufruf der internationalen Wirtschaftskonferenz von Brüs­sel gemäß (1920) - die Notwendigkeit der internationalen finanziellen Zu­sammenarbeit der Zentralbanken politisch untermauert worden war. Nor­man ging davon aus, daß in dieser Zusammenarbeit die Bank von England die führende Rolle spielen mußte. London war ja vor 1914 das Zentrum der Weltwirtschaft gewesen und das sollte, meinte Norman, weiterhin so blei­ben8). Dieser Führungsanspruch wurde Norman von verschiedenen Seiten verübelt. So schrieb Emüe Moreau, der spätere Gouverneur der Banque de France, in seinen Memoiren: „Norman est impérialiste et veut que la Banque d’Angleterre regne sur le monde“ 9). Wie dem auch sei, unter den gegebenen Umständen kam man nun einmal beim finanziellen Wiederaufbau Europas einfach nicht um Norman herum, denn „l’approbation de Norman suffissait ä ouvrir la porté du marché financier de Londres ä un pays emprunteur“10). Die Andeutung Marie-Luise Reckers, daß der Einfluß der Bank von England auf die englische Donauraumpolitik nicht so groß war wie der Einfluß des Foreign Office, Board of Trade und der Treasury11), trifft, wie wir noch se­hen werden, jedenfalls nicht in der österreichischen Frage für diese Jahre zu. Die Sanierung Österreichs war für Norman ein Test. Ihr Gelingen mußte sei­ner Überzeugung nach dazu führen, daß der Rest Europas sich schneller zur 7) Jacques Bosmans Das Schiedsgericht zur Regelung der westungarischen Frage 1922-1923 in Zeitgeschichte 7 (1979-1980) 233-257. 8) Stephan V. O. Clarke Central Bank Cooperation 1924—1931 (New York 1967) 33-44. Vgl. für die Person Normans Henry Clay Lord Norman (London 1957) und Andrew Boyle Montagu Norman. A Biography (London 1967). 9) Emile Moreau Souvenirs d’un Gouverneur de la Banque de France (Paris 1954) 48f. 10) J. J. Rey Le développement de la cooperation entre banques centrales dans les relations monétaires internationales in Les relations financiéres internationales fac- teurs de solidarités ou de rivalités (Bruxelles 1979) 149. Siehe auch Jean Monnet Mémoires (Paris 1976) 111. u) Marie-Luise Recker England und der Donauraum 1919-1929 (Stuttgart 1976). Mitteilungen, Band 34 19

Next

/
Thumbnails
Contents