Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926

288 Jac Bosmans der Anleihe auseinanderzusetzen und die Qualität der von der österreichi­schen Regierung zur Verfügung zu stellenden Pfänder zu überprüfen hätte. Die Reparationskommission sollte ihre Ansprüche auf diese Pfänder vorläu­fig zurückstellen. Im Austausch gegen die Erklärung der vier anderen Signatarmächte, die po­litische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität und Souveränität Öster­reichs seien unantastbar, sollte Österreich den Bestimmungen des Friedens­vertrages von St. Germain gemäß versprechen, seine Selbständigkeit nicht aufzugeben. Weiters sollte die Regierung ein Reformprogramm aufstellen, dessen Durchführung die Herstellung eines dauerhaften Gleichgewichts im Etat innerhalb von zwei Jahren ermöglichen würde. Ein durch den Völker­bundsrat zu ernennender Generalkommissär sollte auf der Durchführung des Reformprogramms bestehen und sie überwachen. Auch sollte er der Regie­rung die Genehmigung erteilen, den Anleiheertrag zu nutzen. Eine der Be­dingungen, von denen die Genehmigung abhängen würde, war die Garantie einer schrittweisen Durchführung des Programms. Die Arbeit des General­kommissärs sei erst dann zu beenden, wenn der Völkerbundsrat festgestellt habe, daß das Gleichgewicht im Etat gesichert sei. In Erwartung der Ernennung des Generalkommissärs traf am 17. Oktober 1922 in Wien eine sogenannte Provisorische Delegation des Völkerbundes ein. Alle Delegierten hatten einen Sitz im Finanzkomitee, einem Beratungs­kollegium des Völkerbundes, und waren hohe Funktionäre der Finanzmini­sterien, Großbankdirektoren, namhafte Wirtschaftler und Statistiker. In sei­ner Absicht, die geregelten Verhältnisse der Vorkriegszeit wiederherzustellen, schuf dieses Komitee, bis zur Gründung der Bank für Internationale Zahlun­gen 1930, für die Finanzbehörden die Möglichkeit, miteinander Rücksprache zu halten6). Jedesmal, wenn die österreichische Frage auf der Tagesordnung des Völkerbundsrates stand, bereitete das Finanzkomitee die Beratungen vor, und jedesmal befolgte der Völkerbundsrat die Empfehlungen des Komitees. Im Einvernehmen mit der Provisorischen Delegation legte die österreichische Regierung das Reformprogramm fest. Kernpunkte waren neben Steuermaß­nahmen eine Reorganisation der Hoheitsverwaltung und der Staatsbetriebe und ein rigoroser Beamtenabbau. Zusammen mit der Delegation arbeitete die Regierung auch ein Etatschema für die nächsten zwei Jahre aus; darin war der Raum, den die Durchführung des Reformprogramms und die Beträge der ausländischen Anleihe schaffen würden, zahlenmäßig berechnet. Am 1. Ja­nuar 1925 sollten die Ausgaben sich auf nicht mehr als 350 Millionen Gold­kronen belaufen. Unter großem Aufsehen ratifizierte das österreichische Par­lament Ende Dezember 1922 die Genfer Protokolle und genehmigte das Wie­deraufbaugesetz, das die Durchführung des Reformprogramms regelte. Mitte Dezember 1922 traf der Generalkommissär in Wien ein. Es war der niederländische Jurist Alfred Rudolf Zimmerman, Oberbürgermeister der 6) Richard Hemmig Meyer Bankers’ Diplomacy. Monetary stabilization in the twenties (New York-London 1970) 1-15.

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