Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

WANNER, Gerhard: Die Spitzbergenfrage zwischen 1908 und 1912 und die k. u. k. Gesandtschaft in Stockholm

274 Gerhard Wanner rückte somit in den politischen Vordergrund, da sie die Machtverhältnisse in Nordeuropa entscheidend beeinflussen konnte8). Was Schweden dazu veranlaßte, der norwegischen Konferenzinitiative nicht ohne weiteres zuzustimmen, war vor allem sein verletzter Stolz, der es nicht zulassen wollte, daß Norwegen so kurz nach seiner Selbständigkeit als „Prä­sidialmacht“ einer internationalen Konferenz, zudem noch in Oslo, auftrat. Man hielt dies in Schweden für eine „Zumutung“. Da jedoch Deutschland nicht geneigt war, so ohne weiteres Schwedens Posi­tion gegen Norwegen einzunehmen, unternahm der schwedische Außenmini­ster Trolle im Herbst 1908 einen ungewöhnlichen Schritt. Er ließ nämlich in einer Denkschrift ausführliche neue Vorschläge für eine Rechtsordnung auf Spitzbergen ausarbeiten, die er Norwegen und Rußland übermittelte, ohne überhaupt auf die von Norwegen vorgeschlagene Konferenz einzugehen. Spitzbergen sollte nach seinen Vorstellungen weiterhin „res nullius“ bleiben. Die richterliche und polizeiliche Gewalt sollte jedoch von Norwegen, Schwe­den und Rußland ausgeübt werden. Für jeden Staatsbürger hätte das Recht seines Landes zu gelten. Deutschland, England und Norwegen lehnten aber den schwedischen Vor­schlag ab, nur Rußland stimmte aus verständlichen Gründen zu: Im Falle späterer Gebietsansprüche konnte ihm der Status quo nur von Nutzen sein, und eine Beteiligung an einem gemischten Gerichtshof (in Tromsö) bedeutete die Anerkennung Rußlands als Schutzmacht über Spitzbergen. Die k. u. k. Gesandtschaft in Stockholm war mit Trolles Vorschlägen nicht einverstanden, um so weniger, als sich auf Spitzbergen kein einziger russi­scher Untertan aufhalte und Rußland lediglich „Prestige-Ansprüche“ geltend machen könne. Anfang des Jahres 1909 hatten die diplomatischen Verhandlungen einen to­ten Punkt erreicht9). Im März 1909 bildete der schwedische Staatsminister Arvid Lindman sein Kabinett um, und Arvid Taube, als ausgesprochen deutschfreundlich be­kannt, wurde neuer Außenminister. Taube wollte sich der von Norwegen vorgeschlagenen Intemationalisierung der Spitzbergenfrage widersetzen, da er fürchtete, Norwegen erhalte dabei automatisch zu viele Rechte. Er strebte daher als einzige Lösung büaterale schwedisch-norwegische Verhandlungen an, welche von vornherein Schweden einen großen Einfluß sichern muß­ten10). Nicht ungeschickt bediente sich dabei der Außenminister zur Durch­setzung seiner Pläne der Hüfe des britischen Gesandten Cecil Spring Rice in Stockholm - in zweifacher Weise: Großbritannien besaß in Norwegen großen politischen Einfluß und konnte daher als Druckmittel verwendet werden. 8) Rütger Essén Sverige upplever världen. Vár politiska historia frän sekelskiftet tili nu (Stockholm 1935) 193-197; Sten Carlsson - Jerkker Rosén Svensk historia 2: Tiden efter 1718 (Stockholm 1970) 472 f. 9) Vgl. Dumba-Bericht 2: HHStA GSt 154. 10) Hantschel Weltgeschehen 83f.

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