Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

KLEINMANN, Hans-Otto: Die österreichische Diplomatie und die Anerkennung der amerikanischen Staaten

Wenn in der Praxis der internationalen Beziehungen die Legitimierungs­grundlage neuer Staaten und Regime zur Feststellung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit herangezogen wird, also die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines neu entstandenen politischen Gebildes von einem mit universalem Geltungsanspruch einhergehenden Staats- und Gesellschaftsver­ständnis aus erfolgt, dann verliert die völkerrechtliche Anerkennung ihren Charakter als Sicherheitsfaktor der internationalen Ordnung, „als ,Vertrau­ensbescheinigung“ für den Verkehr von Staat zu Staat, von Regierung zu Re­gierung“ 13) und wird zur diplomatischen Waffe, zu einem reinen Zweck- und Druckmittel im Dienste der politischen Macht14). Dies war der Fall in dem politischen und geistigen Ringen zwischen den Kräften, die für Volkssouveränität, Verfassungsstaat, nationale Selbstbe­stimmung und demokratisch-republikanische Formen eintraten, und jenen Mächten, die auf dynastischem Staat, fürstlichem Absolutismus und monar­chischem Prinzip bestanden. In dieser Frontstellung ging es darum, die Insti­tution der Anerkennung unter Wahrung ihrer praktischen politisch-rechtli­chen Bedeutung vor der sich mit den nationalen, antikolonialistischen und demokratischen Emanzipationsbewegungen abzeichnenden Auflösung der überkommenen Staats- und Gesellschaftsauffassung, unter den Bedingungen eines sich zusehends global ausdehnenden heterogenen internationalen Sy­stems wie auch angesichts der tiefgreifenden wirtschaftlichen und technolo­gischen Veränderungen in ihrem materiell-rechtlichen Gehalt neu zu be­stimmen. Der diplomatischen Praxis der frühen Neuzeit waren Anerkennungsvorgän­ge, auch wenn ein entsprechender Ausdruck dafür gefehlt hat, keineswegs fremd, ja die dabei beobachteten Anerkennungsformen und -usancen weisen zum Teil eine bis in den Völkerverkehr der Antike zurückreichende Tradition auf. Zu dem eine „Anerkennung“ involvierenden Verhalten gehörten die An­nahme oder Entsendung bevollmächtigter Gesandter, die Übersendung eines förmlichen Glückwunschkompliments als Antwort auf die Notifikation der Machtübernahme, die Zusicherung der Freundschaft und die förmliche An­rede des neuen Souveräns mit dem von ihm beanspruchten Titel. Die „Er­kennung des Regenten“15) erfolgte sogar vornehmlich in offizieller Form als Antwort auf die Anzeige der Machtübernahme. So sind auch die meisten Die österreichische Diplomatie und die Anerkennung der amerikanischen Staaten 177 13) Schmitt Der Nomos der Erde 281. 14) Rudolf L. Bindschedler Die Anerkennung im Völkerrecht in Archiv des Völ­kerrechts 9 (1961/62) 394; Charles de Visscher Théorie et realitás en droit interna­tional public (Paris 21955) 290: ,,la reconnaissance n’est parfois qu’un instrument de la politique de puissance“. Über die moderne politische Bedeutung Raymond Aron The Nature of Conflict (UNESCO Tensions and Technology Series, Paris 1957) 183 f; deutsch: Konflikt und Krieg vom Standpunkt der historischen Soziologie in Krieg und Frieden im industriellen Zeitalter (Beiträge der Sozialwissenschaft 1, Gütersloh 1966) 422 ff. ls) Karl Gottlob Günther Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Ver­nunft, Verträgen und Herkommen 2 Teüe (Altenburg 1787/1792): Teil 2 432. Mitteilungen, Band 34 12

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