Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)

KLEINMANN, Hans-Otto: Die österreichische Diplomatie und die Anerkennung der amerikanischen Staaten

176 Hans-Otto Kleinmann Genau gesagt hat erst das diplomatisch-politische Geschehen im Umfeld des nordamerikanischen Unabhängigkeitskampfes die Institution der völker­rechtlichen Anerkennung ins Bewußtsein der Staatsdenker und Staatslenker gehoben. Bis dahin hatte sie weder in den Rechtslehren und staatstheoreti­schen Schriften zu irgendwelchen Erörterungen Anlaß gegeben noch in der Staatenpraxis zu ähnlich intensiven rechtlich-politischen Auseinanderset­zungen geführt. So hat man sagen können, daß „die Frage der völkerrechtli­chen Anerkennung von Staaten und auch von Regierungen ... so alt wie die neuzeitlichen Revolutionen“ sei7). Genau betrachtet hat sich die Anerken­nungsproblematik in den zwischenstaatlichen Beziehungen an dem Konflikt zwischen den „Verfassungsgrundlagen“ des alteuropäischen Staatenvereins und den revolutionären, die bürgerlichen Freiheits- und Gleichheitswerte garantierenden Staatsordnungen entfacht. Das europäische Staatensystem, das sich in den großen Friedensschlüssen des nachkonfessionellen Zeitalters herausgebildet hatte, erforderte, wie Koselleck gezeigt hat, von den Beteiligten eine „im moralischen Sinne inhaltslose“ An­erkennung, „mit der sich die Partner, ob katholisch oder protestantisch, ob monarchisch oder republikanisch, ihrer staatlichen Integrität versicherten“8) und sich einander gegenseitig die Stellung von iusti hostes für den Fall eines Krieges zugestanden9). Hierin liegt der Sinn der völkerrechtlichen Anerken­nung bei einem „homogenen“ internationalen System, wie es in paradigmati­sch er Form die auf Vertragsgemeinschaften und einem werdenden Gewohn­heitsrecht beruhende, in dynastischer Ebenbürtigkeit und erbmonarchischer Souveränität begründete sowie nach den Forderungen des Gleichgewichts und der Konvenienz abgemessene Staatenordnung des Ius publicum europaeum darstellte und in dem nach der Definition von Raymond Aron „les Etats appartiennent au mérne type, obéissent ä la mérne conception de la politique“. Dagegen muß in einem „heterogenen“ System, in dem „les Etats sont organisés selon des principes autres et se réclament de valeurs contradictoires“, der Sinn der Anerkennung problematisch werden10). Denn internationale ideologische Frontbildungen, zumal wenn sie innerge- sellschaftlichen Gegensätzen entsprechen, bedrohen nicht nur latent die in der Staatlichkeit beschlossen liegende „moralische Integrität“11) der politi­schen Einheiten, sondern erlauben es im Kriegsfall auch, das Recht des „Feindes“ auf eine autonome Existenz prinzipiell in Frage zu stellen12). 7) Wörterbuch des Völkerrechts, begründet von Karl Strupp, hg. von Hans-Jürgen Schlochauer 3 (Berlin 1962) 724. 8) Reinhart Koselleck Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürger­lichen Welt (Frankfurt/M. 1973) 37f. 9) Ebenda 33f: Darin folgt er Schmitt Der Nomos der Erde 123f. 10) Raymond Aron Paix et Guerre entre les nations (Paris 1962) 108. “) Koselleck Kritik und Krise 33. 12) Julien Freund Der unauffindbare Friede in Der Staat 3 (1964) 168: Anerken­nung des Feindes heißt ferner „die Weigerung, ihn zu vernichten, ihn anzuklagen, weil er besiegt ist, etwa wie einen Verbrecher oder einen Schuldigen, der zu bestrafen und auszulöschen ist“.

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