Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

BROUCEK, Peter: Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 1914–1918

Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 273 Desertionen um fast 80% gestiegen waren, wobei sich die erwischten Deserteure alle auf die vorerwähnte Amnestie beriefen. Der Kaiser war von dieser Darstellung tief be­eindruckt und teilte mir mit, auf diese Folgen hätte ihn bisher niemand aufmerksam gemacht. Der Ministerpräsident habe ihm die Amnestie mit dem Hinweis empfohlen, daß die Entente beim Friedensschlüsse sicherlich die Amnestie aller politischen Häft­linge verlangen würde, so daß diese ihre Befreiung den Gegnern zu verdanken hätten, während sie nach der jetzt erfolgenden Amnestie doch dem Kaiser zu danken hätten. Diese Überlegung war zwar richtig, ließ aber die militärischen Rückwirkungen der Amnestie ganz außer acht...“. Nach der Tafel befahl mich der Kaiser nochmals zu sich und legte mir neuerdings sehr ans Herz, dafür zu sorgen, daß der Prozeß Bertolini nicht mit einer Blamage endige. Der Prozeß fand beim Landwehrdivisionsgericht in Innsbruck statt. Zunächst wurden drei Angeklagte vernommen, die durch die Haft sichtlich weich geworden waren und daher ein umfassendes Geständnis ablegten. Damit war die Echtheit der erbeuteten Dokumente erwiesen, und der weitere Prozeß spielte sich ohne besondere Schwierig­keiten ab. Die Angeklagten wurden alle zu einer längeren Kerkerstrafe ver­urteilt ,..31).“ Rodler erläutert weiters die Vorgeschichte der Junischlacht in Venetien 191832), der letzten Offensive der k. u. k. Armee, die gleich am ersten Tag scheiterte und bald eingestellt werden mußte33): „Die ganze in viel zu breiter Front und mit unzulänglichen Mitteln unternommene Of­fensive war also ein Mißerfolg, der auch noch mit schweren blutigen Opfern verbun­den war. Kurze Zeit vor Beginn der Offensive hatte unsere Regierung nach mehrjähri­ger Pause das Parlament einberufen, in dem jetzt an der Armeeführung schärfste Kri­tik geübt und die Enthebung des schuldtragenden Führers verlangt wurde. Gerade damals war in den in Italien erscheinenden jugoslawischen Zeitungen ein an den Feldmarschall Boroevic gerichteter Aufruf des Führers der Jugoslawen, Dr. Trumbic, erschienen, in welchem Boroevic an seine südslawische Abstammung erinnert und auf­gefordert wurde, sich nicht länger zum Knechte der Habsburger herzugeben, sondern lieber für die Unabhängigkeit seiner Landsleute einzutreten. Das Armee-Oberkom­mando fürchtete nun, daß Boroevié, falls er jetzt gemaßregelt würde, dem Aufrufe Trumbics Folge leisten könnte. Von Conrad war man dagegen überzeugt, daß er eine Maßregelung ruhig hinnehmen würde. Daher wurde Feldmarschall Conrad trotz der Äußerung des Kaisers und obwohl er vor einer Offensive mit unzulänglichen Mitteln gewarnt hatte, seines Postens enthoben und in den Ruhestand versetzt34). Das Kom­31) Vgl. die Akten in der Strafsache Dr. Adolf von Bertolini in KA Militärkanzlei Seiner Majestät 1918: 57-3/46. Die Audienz Rodlers ist daraus nicht ersichtlich. Sie könnte im August 1918 stattgefunden haben. Die erste Meldung des Heeresgruppen­kommandos an die Militärkanzlei erfolgte am 23. Juli 1918. Das Verfahren war bei Kriegsende noch nicht abgeschlossen, vielmehr hatte der Oberste Landwehrgerichtshof mit Beschluß vom 19. Oktober 1918 zur Fortführung der Strafsache den k. u. k. Mili­tärkommandanten als zuständigen Kommandanten der Landwehr in Wien delegiert. 32) Peter Fiala Die letzte Offensive. Altösterreichs Führungsprobleme und Führer­verantwortlichkeit bei der österreichisch-ungarischen Offensive in Venetien, Juni 1918 (Militärgeschichtliche Studien 3, Boppard/Rhein 1967). 33) B/653, n. 1, fol. 56f, fol. 58f, fol. 59-62. 34) Diese Umstände der Entlassung FM Conrads sind bisher noch aus keiner weite­ren Quelle bekannt geworden. Vgl. jedenfalls über Boroevic Rudolf Kiszling Feld­marschall Svetozar Boroevic von Bojna. Ein Gedenkblatt in Südostdeutsche Viertel­jahresblätter 11 (1962) 9—15; über die kroatischen Offiziere in der k. u. k. bewaffneten Macht Rudolf Kiszling Die Kroaten. Schicksalsweg eines Südslawenvolkes (Graz - Wien - Köln 1956); Ernest Bauer Glanz und Tragik der Kroaten. Axisgewählte Kapi­tel der kroatischen Kriegsgeschichte (Wien - München 1969) 83 ff. FM Conrad wurde Mitteilungen, Band 33 18

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