Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

BROUCEK, Peter: Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 1914–1918

274 Peter Broucek mando der Heeresgruppe Tirol übernahm Generaloberst Erzherzog Joseph, der den FML Frh. von Willerding35) als Generalstabschef mitbrachte .. . „Der Erzherzog, der mich von meiner Truppendienstleistung an der Ostfront her kann­te, teilte mir mit, er habe Kenntnis von meiner erfolgreichen Bekämpfung der italieni­schen Irredenta und hoffe, daß ich auch die langsam fühlbar werdende deutsche Irre­denta mit der gleichen Energie und dem selben Erfolge bekämpfen werde. In der letz­ten Zeit war nämlich von deutschnationaler Seite her eine starke Agitation gegen un­ser Kaiserhaus eingeleitet worden .. „In Tirol war festgestellt worden, daß deutschnationale Parteigänger anfingen, Ver­sammlungen abzuhalten, bei denen die Erfüllung aller deutschen Forderungen und die von FML Krauss eingeleitete Verdeutschung der italienischen Gebiete Südtirols ver­langt wurden. Da damals die Mehrzahl aller Männer unter den Waffen stand, waren unter den Teilnehmern an derartigen Versammlungen oft auch Angehörige des Heeres, wodurch die Politik gerade von deutscher Seite in die Armee hineingetragen wurde, was bei der vielsprachigen Armee ein großes Gefahrenmoment bildete. Allen Armee­angehörigen wurde daher die Teilnahme an solchen Versammlungen verboten. Gerade damals begann sich auch eine andere Gefahr langsam fühlbar zu machen. Es war die nach dem Frieden von Brest Litowsk erfolgende Heimkehr unserer Kriegsge­fangenen aus Rußland, die vielfach bolschewistische Ideen mitbrachten und damit zer­setzend auf die Armee einwirkten36). Viele von ihnen waren durch die lange Gefangen­schaft nicht nur des Kampfes, sondern auch der Disziplin entwöhnt, hatten in der Ge­fangenschaft das Politisieren gelernt und fanden bei ihrer Heimkehr ein Vaterland vor, das an allem Not litt, in dem jeder große Entbehrungen auf sich nehmen mußte und in dem vieles nicht so war, wie man es sich erhoffte. Diese Leute waren die Keimzellen für die Unzufriedenheit der anderen, deren Kriegsbegeisterung auch schon sehr zu wünschen übrig ließ. Die Nachrichtenabteilung mußte daher darauf bedacht sein, diese Übelstände zu bekämpfen und mindestens soweit einzudämmen, daß sie sich nicht zu einer Gefahr für die Schlagfähigkeit der Armee aus wirkten. Die Heimkehrer waren meist nach einem nur kurzen Urlaub zu den Ersatztruppenkör­pern eingerückt, die sie mit Rücksicht auf den großen Bedarf der Front schon nach kurzer Zeit mit den Marschbataillonen ins Feld sandten. Diese Marschbataillone wa­ren divisionsweise in sogenannte Divisionsausbildungsgruppen, die nicht weit hinter der Front lagen, zusammengezogen. In Tirol lagen die Divisionsausbildungsgruppen alle in Nordtirol. Aus Mitteilungen der Heeresgruppe Boroevic entnahmen wir, daß es bei deren Divisionsausbildungsgruppen mehrfach zu schweren Zwischenfällen ge­kommen war. In Tirol war bis dahin nichts derartiges vorgekommen. Ich beschloß da­her, mich zunächst einmal genau über die Stimmung der Mannschaft bei den Divi­sionsausbildungsgruppen zu orientieren...“. am 15. Juli 1918 nicht pensioniert, sondern nur seines Postens enthoben und zum Obersten sämtlicher Leibgarden ernannt. Er ging auf Urlaub und trat seinen neuen Dienst vor dem Zusammenbruch nicht mehr an. Die Versetzung in den Ruhestand er­folgte mit 1. Dezember 1918. Vgl. Oskar Regele Feldmarschall Conrad. Auftrag und Erfüllung 1906-1918 (Wien - München 1955) 496. 35) Rudolf Baron Willerding (1866—1928), bei Kriegsende als Feldmarschalleutnant Generalstabschef der Heeresgruppe Generaloberst Erzherzog Joseph, 1919—1921 Gene­ralinfanterieinspektor der ungarischen Nationalarmee, Jänner - November 1921 Hon- védoberkommandant: Oskar Hofmann — Gustav Hubka Der Militär-Maria Theresi- en-Orden. Die Auszeichnungen im Weltkrieg 1914-1918 (Wien 1943) 353f. 36) Über die Heimkehrerfrage vgl. Inge Przybilovski Die Rückführung der öster­reichischen Kriegsgefangenen aus dem Osten in den letzten Monaten der k. u. k. Mo­narchie (ungedr. phil. Diss. Wien 1965); Richard Georg Plaschka — Horst Hasel­steiner - Arnold Suppan Innere Front. Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918 1 (Wien 1974) 278ff.

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