Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

NEUHAUS, Helmut: Ferdinands I. Reichstagsplan 1534/35. Politische Meinungsumfrage im Kampf um die Reichsverfassung

36 Helmut Neuhaus verschiedenartigen Akzentuierungen — eine große Mehrheit der Befragten grundsätzlich für einen Reichstag unter Ausklammerung der Religionsfrage aus. Die Art und Weise der Beantwortung dieser alternativen Reichstagsfrage hing insbesondere wohl auch davon ab, wie eng die von Ferdinand vorgese­henen Beratungsgegenstände mit dem Konfessionsproblem verknüpft gesehen wurden. In jedem einzelnen Fall muß der Ausgangspunkt eine politische La­gebeurteilung gewesen sein, aus der ersichtlich werden mußte, inwieweit der Lösung der Religionsfrage eine absolute Priorität in der Reichspolitik einge­räumt wurde oder man zu pragmatischen Lösungen neigte, da eine Erledi­gung des Grundproblems der Reichsinnenpolitik für nicht realisierbar erach­tet wurde. Diese generelle Zustimmung zu einem Reichstag unter Ausklammerung des Religionsproblems wurde dann aber doch von etlichen Reichsständen bei einzelnen der vorgeschlagenen Beratungsgegenstände modifiziert, wovon freilich das grundsätzlich positive Votum für einen Reichstag unberührt blieb. Auch hier liegen nicht zu allen Punkten von allen Befragten eindeutige Stellungnahmen vor, aber im einzelnen ergibt sich folgendes Bild: Zum Landfriedensproblem und hier insbesondere zur Frage nach der Beendigung der Täuferunruhen im westfälischen Münster äußerten sich die meisten und nahmen damit sicherlich zum wichtigsten und aktuellsten Punkt überhaupt Stellung, an dem sich — wie noch zu zeigen sein wird — das Schicksal des ferdinandeischen Reichstagsplanes entscheiden sollte. Die extremste Position bezog hier zweifellos jener Kurfürst von Brandenburg, der ansonsten den projektierten Reichstag für den wichtigsten der letzten dreißig Jahre hielt. Er war der Ansicht, daß das Wiedertäuferreich in Münster eine Angelegenheit des Reichskreises sei, „in dem soliche embörunge entstünde“, keine des ge­samten Reiches und damit auch kein Beratungsgegenstand für einen Reichs­tag; „wo von nöten [...], soliche aufrur zudempfen und die ungehorsamen widder zu gehorsam zubrengen“, so sei dies die Aufgabe der „nechsten umb- liegendejn] zweine oder drey kreiß“ neben der des Kaisers und Königs95), erklärte der Brandenburger und erinnerte damit nicht nur an die ins Leben gerufene Reichskreis-Verfassung96), sondern ganz konkret an den Reichs­tagsabschied vom 27. August 1526 in Speyer97). Der Kurfürst war dagegen, in jeder lokalen Landfriedensangelegenheit gleich das ganze Reich aufzubie­ten, wollte allerdings im äußersten Notfall auch nicht abseits stehen98). „Für unfruchtpar“ sahen es die Herzoge von Bayern an, „das die munsterisch sach auf einen Reichstag und desselben beslus oder hilf verzogen werden sol­95) Ebenda fol. 8 r. 96) Zu den Reichskreisen zuletzt in einem sehr guten Überblick Heinz Mohn­haupt Die verfassungsrechtliche Einordnung der Reichskreise in die Reichsorganisa­tion in Karl Otmar Freiherr von Aretin [Hg.] Der Kurfürst von Mainz und die Kreis­assoziationen 1648—1746. Zur verfassungsmäßigen Stellung der Reichskreise nach dem Westfälischen Frieden (Wiesbaden 1975) 1-29. 97) RA n, Speyer 1526 § 9, 275. 98) HHStA RKRTA 5 CIII fol. 8v.

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