Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
BROUCEK, Peter: Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 1914–1918
276 Peter Broucek terzugeben. Dies geschah an das 11. Armeekommando mit Fernschreiber, an die im Rückmarsch befindlichen Korps der 10. Armee aber mit Funk, da das Armeekommando schon im Marsche und daher nicht erreichbar war. Kaum hatte ich die Weitergabe des Fernschreibens durchgeführt, als ich vom Armeeoberkommando telephonisch aufgerufen wurde und vom dort diensthabenden Generalstabsoffizier den Auftrag erhielt, den Befehl über den Abschluß des Waffenstillstandes sogleich zu widerrufen, da jetzt erst ein Zusatz bekanntgeworden sei, daß der Waffenstillstand erst 24 Stunden später in Kraft trete. Ich machte sofort aufmerksam, daß diese Zurücknahme kaum mehr durchführbar sein werde, da der Befehl bereits mit Funk an die Korps weitergegeben worden sei und inzwischen auch die Fronttruppen erreicht haben dürfte. Das Armeeoberkommando bestand aber auf der Zurücknahme. Ich meldete die neue Verfügung dem Generalstabschef, der darüber sehr ungehalten war und mich beauftragte, den Generalstabschef der 11. Armee telephonisch aufzurufen, ihm die Zurücknahme des früheren Fernschreibens bekanntzugeben und ihm die Gründe des Armeeoberkommandos für diese Verfügung mitzuteilen. Der Generalstabschef der 11. Armee, Generalmajor Sündermann, war über die Weisung des Armeeoberkommandos sehr entrüstet und meinte, das Armeeoberkommando möge doch selber einmal versuchen, der Truppe, die auf Grund des zuerst erhaltenen Auftrages bereits überall den Kampf eingestellt habe und sich bereits zu sammeln beginne, die Wiederaufnahme des Kampfes anzubefehlen. Ich teüte ihm mit, daß ich gleich bei der Übernahme des neuen Befehles dem Armeeoberkommando dieselben Bedenken vorgebracht hätte, damit aber abgewiesen worden sei; ich bat den Generalstabschef, sich doch selber mit dem Armeeoberkommando verbinden zu lassen, was er auch tat; seine Bemühung war jedoch erfolglos . . Rodlers letzte Mission in der k. u. k. Armee kann man auch als seine erste in der Volksabwehr vor der Ausrufung der Republik bezeichnen39): „Nach fünf Tagen wurde das Heeresgruppenkommando aufgelöst und das nach Innsbruck rückverlegte 11. Armeekommando übernahm die weiteren Demobilisierungsmaßnahmen der landfremden Truppen. Für die Tiroler Truppen waren der von der Landesregierung gebildete Landesverteidigungsausschuß und der zum Landeskommandanten ernannte Oberst Dr. Ecc[h]er40) zuständig. Ich wurde dem Stabe des Landeskommandanten zugeteilt, behielt aber die Leitung der in Demobilisierung befindlichen Nachrichtenabteilung bis zu deren Auflösung bei. Trotz des Zusammenbruches der Monarchie war Deutschland gewült, den Krieg weiter fortzuführen. Da die in Tirol einrückenden Italiener eine Gefährdung der Südgrenze Deutschlands darstellten, rückte am 7. November das Deutsche Alpenkorps plötzlich in Tirol ein und bezog Stellungen an der Brennerlinie mit vorgeschobenen Sicherungen bei Franzensfeste41). Als die ersten deutschen Truppen mit der Bahn in Innsbruck eintrafen, mußte ich auf Befehl des damals noch anwesenden Heeresgruppenkommandos dem Kommandanten der deutschen Truppen einen schriftlichen Protest gegen den Bruch unseres Waffenstillstandsabkommens überreichen. Der deutsche Regimentskommandeur, ein Major, nahm den Protest zur Kenntnis und bestätigte mir die Kennntnisnahme auch schriftlich, berief sich aber auf seinen Befehl und fuhr zum Brenner weiter. Zwei Tage später brach aber in Deutschland die Revolution aus und die deutschen Truppen in Tirol erhielten den Befehl zur Heimkehr ...“. 39) B/653, n. 1, fol. 74. 40) Mit Verordnungsblatt Nr. 1 vom 16. November 1918 des deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen wurden Landesbefehlshaber der deutschösterreichischen Volkswehr ernannt. Für Salzburg, Tirol und Vorarlberg mit dem Amtssitz in Innsbruck war dies Oberst Dr. jur. Oswald Eccher von Eccho Edler von Marienberg, zuvor Kommandant der 1. Kaiserjägerbrigade. 41) Vgl. Wagner Der Waffenstillstand 294ff.