Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

BROUCEK, Peter: Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 1914–1918

Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 275 „Die Klagen der Leute waren meist alle sehr begründet und ich stieß nirgends auf Un­bescheidenheiten .. „Selbstverständlich orientierte ich die Kommandanten der Truppenkörper sowie auch jene der Ausbildungsgruppen über meine Feststellungen, bat sie, kleinere Wünsche der Leute am besten gleich zu erfüllen und sagte weitere Weisungen der Heeresgruppe zu. Beim Heeresgruppenkommando fand ich, als ich über meine Tätigkeit und die ge­machten Feststellungen berichtete, volles Verständnis und die Heeresgruppe ordnete an, daß die von mir beantragten Abhilfen raschestens durchzuführen seien. Das Er­gebnis war sehr befriedigend, denn es kam in Tirol bei keiner der Ausbildungsgruppen auch nur zu dem geringsten Zwischenfall. Bei unserer Mannschaft war eben, wenn sie den guten Willen sah und man ihren Wünschen Verständnis entgegenbrachte, alles zu erreichen. Einige Zeit später entsandte das Armee-Oberkommando eigens einen Offi­zier zu unserer Heeresgruppe, der sich über diese Angelegenheit gründlich orientierte, worauf dann die anderen Heeresgruppen Weisungen zu einem analogen Vorgehen er­hielten .. Rodler führt anschließend die ersten Anzeichen von Auflösungserscheinun­gen bei der Truppe im Rahmen seiner Heeresgruppe an und geht auf den Abmarsch der Truppen ungarischer Nationalität sowie den beginnenden Rückzug angesichts der Erfolge der am 24. Oktober 1918 begonnenen italie­nischen Angriffe ein37): „Da damit gerechnet wurde, daß in Südtirol eine Volksabstimmung über den Verbleib bei Österreich entscheiden werde, nahm die Nachrichtenabteilung des Heeresgruppen­kommandos rasch noch in den letzten Oktobertagen alle Gemeindevorsteher und Ge­meindesekretäre Südtirols in Bozen zusammen und hielt mit ihnen eine Schulung über die Propaganda für die Volksabstimmung. Unterdessen sandte die Nachrichtenabteilung alle ihre Akten nach Innsbruck, schulte mehrere Agenten, die im Rücken der vorrückenden Italiener Zurückbleiben sollten und baute den ganzen Erkundungsapparat auf die neue Lage um.“ Ungemein lebendig wirkt Rodlers Darstellung der Ereignisse um den Waf­fenstillstand mit Italien38): „In der Nacht zum 3. November war ich beim Heeresgruppenkommando Generalstabs­offizier vom Dienst. Als solcher hatte ich alle einlaufenden Meldungen in Empfang zu nehmen und zu erledigen, soweit hiezu nicht eine Entscheidung des Generalstabschefs erforderlich war. In den Morgenstunden traf nun ein Fernschreiben des Armee-Ober­kommandos aus Baden ein, das den Abschluß des Waffenstillstandes mit Italien be­kanntgab und die darin von uns übernommenen Verpflichtungen aufzählte. Das Fern­schreiben enthielt kein Wort darüber, daß der Waffenstillstand erst 24 Stunden später in Kraft trat, verfügte aber, daß der Abschluß des Waffenstillstandes sogleich allen Truppen zu verlautbaren sei, um weiteres unnützes Blutvergießen zu verhindern. Der das Fernschreiben aufnehmende Telegraphenbeamte und ich waren beim Lesen der Waffenstülstandsbedingungen tief erschüttert und konnten kein Wort reden. Ich weckte sofort den Generalstabschef FML Frh. von Willerding und legte ihm das Fern­schreiben vor. Er erteilte mir den Auftrag, das Fernschreiben gleich an die Front wei­37) B/653, n. 1, fol. 70. 38) B/653, n. 1, fol. 70f. Rodler verfaßte eine Zusammenstellung aller zwischen dem Armeeoberkommando und dem Heeresgruppenkommando in der Nacht vom 2. auf den 3. November gewechselten Depeschen, die er von Willerding beglaubigen ließ. Nicht zuletzt beruht auch die Darstellung von Bruno Wagner Der Waffenstillstand von Villa Giusti 3. November 1918 (ungedr. phil. Diss. Wien 1970) 236ff auf dieser Zusam­menstellung. 18

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