Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

BROUCEK, Peter: Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 1914–1918

270 Peter Broucek Rodler charakterisiert weiters die bedrohliche Situation in Tirol im April und Mai 1915, als der Kriegseintritt Italiens immer wahrscheinlicher wurde und infolge der schweren Abwehrkämpfe in den Karpaten für Tirol fast keine Truppen zur Verfügung standen, sodaß zunächst fast nur Standschüt­zen die Grenzen sicherten. Generaloberst Conrad soll dem Landesverteidi­gungskommandanten General Viktor Dankl gesagt haben: „Also, nicht wahr, ich kann mich darauf verlassen, daß Du mir wenigstens die Brennerlinie hältst“23). Doch infolge des zögernden Vorgehens der Italiener konnte eine Verteidigung aufgebaut werden24): „Als sich im Laufe der Zeit die beiderseitigen Kampflinien immer mehr näherten und schließlich auch zusammenhängende Fronten bildeten, war es natürlich nicht mehr möglich, Agenten durch die Kampflinien durchzuschleusen. Es mußte daher der viel längere Weg über die Schweiz gewählt werden. Da die Italiener ihre einzelnen An­griffe aber immer in großen Zeitabständen unternahmen, kamen auch die Meldungen über die Schweiz fast immer zeitgerecht an25). Während dieser Ereignisse stellte unsere Abwehr fest, daß Bischof Endrici von Trient26) eine auffallend rege Korrespondenz mit dem Bischof von Chur unterhielt. Die betreffenden Briefe, die zensurfrei waren, hatten auch immer eine auffallende Dicke, so daß sie offenbar zahlreiche Beilagen enthielten. Eines Tages meldete nun einer der Zensuroffiziere, er habe gerade einen dicken Brief Endricis zwecks Anbringung des Stempels „Zensurfrei“ erhalten. Dieser Brief sei stark angerissen und durch den Riss könne man sehen, daß er mehrere kleinere Briefe enthalte, die offenbar zur Weiterbe­förderung bestimmt seien. Der Brief wurde nun auf Anordnung des Landesverteidi­gungskommandanten geöffnet, und da stellte es sich heraus, daß Endrici zahlreichen Südtirolem, die nach Italien geflüchtet waren, die Korrespondenz mit ihren Angehöri­gen vermittelte. Damit hatte Endrici die eingegangene Verpflichtung, nur eigene Dienstangelegenheiten in kirchlichen Belangen zu schreiben, gröblichst verletzt. Die Weiterleitung der verbotenen Briefe erfolgte, wie ersichtlich war, durch den Bischof von Maüand. Zur damaligen Zeit unternahm eine unserer Fliegerstaffeln einen Raid auf Mailand. Am Tage darauf stand in einer Mailänder Zeitung, daß das italienische Militärkom­mando einige Tage vor dem Angriff der österreichischen Flieger vom Bischof von Mai­land die Mitteilung erhalten hatte, ein Freund in Österreich habe ihn von dem geplan­ten Angriff auf Maüand verständigt. Diese Verständigung war offenbar vom Bischof Endrici erfolgt, denn nur dieser durfte zensurfrei mit Italien korrespondieren. Der Landesverteidigungskommandant sah sich daher veranlaßt, Endrici in seiner Residenz zu internieren und ihm jeden unkontrollierten Verkehr sowie jede unzensurierte Kor­respondenz zu verbieten. Diese Maßnahme erregte großes Aufsehen und Endrici be­schwerte sich darüber beim Kaiser, der jedoch nur insoferne eingriff, als Endrici dann auf Grund eines Übereinkommens mit dem Nuntius vor ein geistliches Gericht gestellt 23) B/653, n. 1, fol. 23. 24) B/653, n. 1, fol. 24f. 25) Über die militärischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und der Schweiz - unter besonderer Berücksichtigung des Kundschaftsdienstes — vgl. Peter Schubert Die Tätigkeit des k. u. k. Militürattachés in Bem während des Ersten Weltkrieges 1914-1918 (1919) (ungedr. Diss. Wien 1978). 26) Über den Fall Endrici vgl. Führ Das k. u. k. Armeeoberkommando 81 ff; Eigentier Tirol im Inneren 212ff; Hans Kramer Fürstbischof Dr. Cölestin Endrici von Trient während des Ersten Weltkrieges. Nach neugefundenen Akten in MÖStA 9 (1956) 484-527.

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