Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
BROUCEK, Peter: Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 1914–1918
Aus den Erinnerungen eines Kundschaftsoffiziers in Tirol 269 Außenministeriums konnte aber nicht hindern, daß sich unser Kundschaftsdienst weiter intensiv mit Italien befaßte, da die verantwortlichen militärischen Kommanden die Ansicht des Außenministeriums nicht teilten und sich von den Italienern nicht überraschen lassen wollten. Der Kundschaftsstelle Innsbruck war es einige Zeit vor Kriegsausbruch gelungen, einen Vertrauensmann beim italienischen Korpskommando in Mailand zu gewinnen. Dieser Mann hatte zur gesamten dort einlaufenden Post Zutritt und ermöglichte uns die Einsichtnahme in zahlreiche beim Korps von Rom einlaufende Befehle. Er brachte die betreffenden Dienststücke über den Sonntag nach Lugano in der Schweiz, wo sie von einem dort eingebauten Organ der Kundschaftsstelle Innsbruck übernommen und photographiert wurden. Die Abzüge trafen dann immer bereits mit der Kurierpost des nächsten Tages in Innsbruck ein, und wir waren in Kenntnis der bevorstehenden italienischen Maßnahmen, noch ehe diese durchgeführt wurden. Der Agent arbeitete ausgezeichnet und dabei für eine lächerlich geringe Entlohnung, denn er bekam für jede Sendung, die immer mehrere Dienststücke enthielt, nur 1000 Lire. Der Mann war dann auch nach Ausbruch des Krieges mit Italien zwar an anderer Stelle, aber ebenso erfolgreich für uns tätig ...“ „Gegen Italien war von unserer Seite der Paßzwang eingeführt worden. Da aber beiderseits vielfache wirtschaftliche Fäden über die Grenze führten, mußten weit mehr Sichtvermerke, für die Ausreise nach Italien ausgestellt werden, als müitärisch zulässig erschien. Um in dieser Angelegenheit eine entsprechende Kontrolle ausüben zu können, veranlaßte die Kundschaftsstelle, daß in allen Grenzübertrittsstationen genaue Passantenprotokolle geführt wurden, in denen die jeweilige Aus- und Einreise nebst verschiedenen anderen Daten eingetragen werden mußten. Diese Protokolle ermöglichten die Feststellung, wer häufig und mit welcher Begründung ins Ausland reiste, wann und wo er zurückkam, so daß sich die Überwachung einzelner Reisender durch Agenten leicht durchführen ließ. Eines Tages befand sich unter den nach Italien ausreisenden Personen auch der Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Südtirols, Cesare Battisti21), der als eifriger Irredentist bekannt war. Verleitet durch die Stellung Battistis als Abgeordneter, hatte ihm der die Sichtvermerke ausstellende Polizeikommissär von Trient, gegen die Abgabe des Ehrenwortes, daß er nach wenigen Tagen Aufenthaltes in Italien wieder zurückkommen werde, die Ausreise bewilligt, obwohl dies gegen die bestehenden Bestimmungen war, da bekannte Irredentisten keine Sichtvermerke erhalten durften. Battisti reiste aus, nahm dabei die Gelder der Parteikasse mit und entwickelte in Italien eine lebhafte Hetztätigkeit gegen die Monarchie, so daß er viel dazu beitrug, daß der Krieg in der breiten Masse der Bevölkerung Norditaliens volkstümlich wurde. Natürlich kehrte Battisti nicht mehr nach Tirol zurück, er trat, als der Krieg mit Italien ausbrach, freiwillig in ein italienisches Alpinibataillon ein und wurde im Jahre 1916 bei den Kämpfen in der Vallarsa von uns gefangen genommen22). Er kam als Deserteur vor ein Kriegsgericht und wurde zum Tode verurteilt, da er sich durch den Diebstahl der Parteikasse aber eines gemeinen Verbrechens schuldig gemacht hatte, durfte er nicht erschossen werden, sondern verfiel dem Tode durch den Strang.“ 21) Über Battisti vgl. von österreichischer Seite Kramer Die Italiener (Register), Veit er Die Italiener (Register), Claus Gatterer Unter seinem Galgen stand Österreich. Cesare Battisti, Porträt eines Hochverräters (Wien - Frankfurt - München 1967); von italienischer Seite Piero Pieri Cesare Battisti nella storia d’Italia (Trento 1965), insbesondere die Bibliographie LXXIff, S. Arié Battisti, Giuseppe Cesare in Dizionario biografico degli italiani 7 (Roma 1965) 264—271. 22) Vgl. die Darstellung der Gefangennahme auf Grund bisher nicht zugänglicher Augenzeugenberichte bei Hanns H. Pilz Battistis Ende. Vor 45 Jahren: Kaiserschützen siegen über Alpini am Monte Como in Linzer Tagblatt von 1961 Juli 15, Wochenendbeilage.