Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

260 Peter Schubert zumindest so lange hinauszuzögern, bis der geplante gemeinsame Entla­stungsstoß für die Karpathenfront von Gorlice-Tamow erfolgt sei, eine Rolle gespielt haben dürfte95). Als Weg für diese Aktion wurde die tschechische Opposition mit ihren Ver­bindungen zum neutralen und feindlichen Ausland gewählt. Masaryk, der zu diesem Zeitpunkt von der Schweiz aus versuchte, bei der Entente seine An­erkennung als Vertreter der tschechischen Nation zu erreichen96) und dafür auch seine Verbindung nach Prag — die Maffia — nachrichtendienstlich aus­nützte97), scheint vom Evidenzbüro des Generalstabes bzw. der Nachrichten­abteilung beim AOK mit Spielmaterial versorgt worden zu sein. Zumindest tauchten im April in den tschechischen Emigrationszeitschriften La Nation Tcheque und Narodni Listy Berichte über die Entsendung von 300.000 Mann deutscher Truppen an die Karpathenfront auf, wodurch österreichisch-unga­rische Truppen frei wurden, um im Südwesten eine neue Front aufzubau­en98). In der Narodni Listy vom 20. April 1915 wurde berichtet, daß fünf deutsche U-Boote per Bahn nach Pola gebracht worden seien99), wodurch sich das Risiko für die italienische Flotte doch um einiges erhöhen mußte100). Und in der Nation Tcheque Nr. 3 stand zu lesen, daß die neuesten österrei­chischen Mörser Ende April an die italienische Grenze abgegangen wä­ren101), während tatsächlich die „Grenze mit Italien von spärlichen Land­sturmformationen letzten Aufgebotes mit einigen alten ausgemusterten Ka­nonen nicht besetzt, sondern bestenfalls beobachtet“102) wurde. Möglicher­weise spielte diese Desinformationskampagne dafür eine Rolle, daß die ita­95) Österreich-Ungarns letzter Krieg 2 307. 96) Edvard Benes Aufstand der Nationen. Der Weltkrieg und die tschechoslowaki­sche Revolution (Berlin 1928) 18ff; Thomas G. Masaryk Die Weltrevolution (Berlin 1925) 47ff; Jörg K. Hoensch Geschichte der Tschechoslowakischen Republik 1918-1965 (Stuttgart 1966) 14ff. 97) Benes Aufstand 19ff; Ronge Kriegs- und Industriespionage 210. 9S) In deutscher Übersetzung zitiert in Das Verhalten der Tschechen im Weltkrieg. Die Anfrage der Abgeordneten Dr. Schürff, Goll, Hartl, Knirsch, Dr. v. Langenhan und R. H. Wolf im österreichischen Abgeordnetenhause. Hg. von der Deutschnationalen Geschäftsstelle (Wien 1918) 184. ") Narodni Listy Nr. 2, in deutscher Übersetzung zitiert in Verhalten der Tsche­chen 185. i°°) Die österreichisch-ungarische Kriegsmarine besaß zu diesem Zeitpunkt ledig­lich sieben U-Boote, sodaß durch die Zulieferung von fünf Booten die Stärke fast ver­doppelt worden wäre. Tatsächlich wurden auch wirklich fünf U-Boote per Bahn nach Pola geliefert, doch handelte es sich dabei um Ersatz für jene von Österreich-Ungarn in Deutschland bestellten und im Bau befindlichen Boote, die zu Kriegsbeginn von der deutschen Marine beschlagnahmt worden waren. Von diesen Booten erhielt jedoch endlich die k. u. k. Marine nur zwei Stück (U 10, U 11), während die übrigen (U 7, U 8, U 9) sofort an den türkischen Kriegsschauplatz abgegeben werden mußten, — wo aller­dings nur noch zwei Boote eintrafen: Karl Gogg Österreichs Kriegsmarine 1848-1918 (Salzburg - Stuttgart 1967) 70ff. 101) Verhalten der Tschechen 185 (Zitat in deutscher Übersetzung). 102) Georg Veith Die Isonzoverteidiqunq (Österreich-Unqarns letzter Krieq Ergän­zungsheft 3, Wien 1932) 2.

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