Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

Der österr.-ital. Gegensatz im Spiegel der Militarattachéberichte 259 Sehr wirkungsvoll erwies sich auch die Zusammenarbeit mit den eidgenössi­schen Militärbehörden für den Nachrichtendienst. Lieferte doch der Chef des eidgenössischen Nachrichtendienstes Oberst Egli regelmäßig die streng ver­traulichen Bulletins seiner Dienststelle genauso dem k. u. k. Militärattachö wie jene über die Schweiz gehenden Depeschen der ausländischen Gesandt­schaften, die von Schweizer Spezialisten dechiffriert wurden; ja der Militär- attaché dürfte sogar den Eidgenossen chiffrierte, von eigenen Dienststellen abgefangene Meldungen zur Dechiffrierung an die Schweiz weitergegeben haben, da in deren Nachrichtendienst absolute Spitzenleute zur Entzifferung von Kodes tätig waren89). Und als Oberst Egli 1916 im Oberstenskandal von seinem Posten entfernt worden war90), trat der inzwischen zum General­stabschef avancierte Sprecher von Bemegg an seine Stelle und figurierte in den folgenden Jahren als Vertrauensmann „Grau“ in den Akten des k. u. k. Militärattachös91). Und Sprecher war es auch, der noch 1917 die Punktatio­nen über die Kooperation der Schweiz mit Österreich-Ungarn erneuerte und modifizierte, - zum Teil ganz wesentlich zugunsten der Österreicher92). Daneben funktionierte die Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Behin­derung der italienischen Spionage. So wurden noch im Mai - unmittelbar vor dem italienischen Kriegseintritt - die beiden italienischen Spione, die Fiu- maner Brüder Tomari von den Österreichern aufgedeckt und von den Schweizer Behörden verhaftet93), während der Tessiner proitalienische Pro­pagandist Emilio Colombi von den Behörden kaltgestellt wurde94). Schließlich dürfte der österreichisch-ungarische Nachrichtendienst noch eine Aktion zur Verzögerung des italienischen Kriegseintrittes durch falsches Nachrichtenmaterial versucht haben, wobei nicht zuletzt Falkenhayns Forde­rung an den österreichischen Verbündeten, den italienischen Kriegseintritt schaftsdienst oder Spionage [Wien 1934] 93f) war m. E. Ing. Rasim dafür zuständig: Schubert Militarattaché 361. 89) Walzel Kundschaftsdienst 98ff: „die wertvollste Nachrichtenquelle“; Schoch Oberstenaffäre 14, 123. 90) Egli wurde zunächst ohne Aufsehen mit einem anderen Posten versehen, um ei­nen internationalen Skandal zu vermeiden. Als jedoch die Öffentlichkeit davon erfuhr, wurde ihm und Oberst Wattenwyl ein Prozeß gemacht, dessen Führung allerdings als sehr einseitig bezeichnet werden muß: Schoch Oberstenaffäre passim, Schubert Militürattaché 61 ff. 91) Ebenda 67f. Die Identität Sprecher - Grau ergibt sich aus dem Vergleich der Dienstbücher des Militärattachös. Möglicherweise war auch mit „Schweizer“ Sprecher gemeint: KA Mil. Att. Bern Exhibitenprot. Res. Nr. 3143, 1916 September 16; 1918 März 7. Chiffrentel. Nr. 1390. 92) KA AOK an Mil. Att. Bern, 1917 April, Op. Nr. 37000 III; Mü. Att. Bern an Arz, 1917 Juni 4, Res. Nr. 1845 (KA Neue Feldakten AOK Operationsabteilung Geh. Nr. 310); Mil. Att. Bern an AOK Operationsabteüung, 1917 Juli 24, Res. Nr. 2972 (ebenda Geh. Nr. 310). 93) KA Mil. Att. Bern an Evidenzbüro, 1915 Juni 19, Res. Nr. 803 — laut Exhibiten- protokoll. 94) KA Mil. Att. Bern an Evidenzbüro, 1915 Juni 19, Res. Nr. 805 - laut Exhibiten- protokoll. 17*

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